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„Mir hat es gefallen und Ihnen doch sicher auch“
„Mir hat es gefallen und Ihnen doch sicher auch. Und wenn Sie jetzt noch Fragen haben…“, schloss der Literat seine Lesung. Oh, Suggestivfrage, böse Falle, dachte ich. Eine sichere Methode, das eigene Besserwerden zu verhindern, denn so wird er nicht herausfinden, was optimierbar wäre. Und im Mittelmaß verbleiben. Da steckte er: Ganz gut, aber zum Durchbruch wäre mehr nötig.
„Ich sehe, es hat geschmeckt,“ sagt der Restaurantleiter mit Blick auf unsere leeren Teller und nicht so, als wäre er ernsthaft an einer Meinung interessiert. Hat es, aber dass der Koch statt selbstgemachter Tomatenkruste gekauftes Tomatenmark auf den Wels geschmiert hat, sollte man ihm bei einem Preis von über 20 EUR nicht durchgehen lassen.
„Ich hoffe, es hat Ihnen bei uns gefallen“, nuschelt die Hotelangestellte mit Kopf nach unten. Das Hotel hatte gefakte fünf Sterne, wie ich über die Dehoga rausfand, und das Personal war an Schlafmützigkeit nicht zu übertreffen. Doch niemand wird etwas sagen, wenn er so gefragt wird. Ich auch nicht. Die kriegen ihren Senf im Internet.
Ach, wie sehr könnte einen Kritik doch weiterbringen! Dem Literaten entgeht die Chance, seine vorgelesenen Geschichten besser zu präsentieren. Der Koch wird weiter Tomatenmark auf Wels schmieren. Und die Hotelangestellte wird sich weiter einbilden, in einem Hotel von großartiger Servicequalität zu arbeiten, Dehoga hin oder her. Ich fühle mich irgendwie schuldig an dieser Stelle Entwicklungsbremse zu sein, aber ich bin faul. Ich mag nur kritisieren, wenn es Früchte tragen könnte und auf offene Ohren trifft oder einfach sein muss. Ich begebe mich nur aus der Komfortzone, wenn die Chance besteht, dass mein Gegenüber aufnimmt, was ich sage.
Dieses Gegenüber sehe ich nicht in der Lage: Der Restaurantleiter, so 21 Jahre alt und nicht mit allzu viel Empathie gesegnet, nannte meinen Sohn, der gerade daran leidet, nicht zu den Größten zu gehören, wiederholt „Kleiner“. Zum Abschied erzählte er, wie er letztes Wochenende in zwei Stunden von Rügen nach Hamburg gedüst ist, zu einer Party. Das sind 380 Kilometer, Sie können rechnen. Ich lächelte und zischte pseudo-anerkennend als sei das eine große Leistung, weil ich keine Lust hatte den Moralapostel auszupacken, der gelegentlich in mir sitzt. (Der formulierte einen Satz über seine Mutter, die wohl ungern eines der zahlreichen Straßenkreuze mit Blumen schmücken wollte, die einem so auf der Strecke begegnen).
Natürlich wird er nun weiter Gästen von seinen Renn-Abenteuern erzählen, einige finden 200 Stundenkilometer vielleicht richtig männlich, die meisten wohl dämlich. Er wird weiter Gästen allerlei Mist erzählen, Jugendliche „Kleiner“ nennen und das Tomatenmark des Kochs auf dem Wels decken. Dabei gehörte er dringend in ein Benimmtraining mit anschließendem Kurs in kundenorientierter Gesprächsführung.
Diese Dinge erklären, warum wir manchmal meinen, „gut“ zu sein und es nicht sind. Wir bekommen keinen Gegenwind, und richten es uns in unserer Selbsteinschätzung gemütlich ein. All die „geborenen“ Führungskräfte, die grandiosen Redner, die selbstverliebten Berater…. Sie lassen sich nur allzu gern täuschen, weil wir normalerweise zu faul sind, Feedback zu geben – positive Rückmeldungen ebenso wie negative. Nur, wenn etwas sehr sehr unverschämt ist oder sehr sehr daneben, wenn es Grenzen überschreitet – dann sagen wir etwas. Aber in der breiten Variation des Mittelmaßes ist der Wels eben doch noch okay und der Restaurantleiter ohnehin unbelehrbar.
Wie man das ändern kann? Erst mal sollte man die richtigen Leute auf den richtigen Platz setzen, den Restaurantleiter hätte ich irgenwo in der Disco das Mitteldeckes auf dem Kreuzfahrtschiff Aida gesehen.
Dann muss man sie entwickeln. Wahrscheinlich ist viel Training nötig – die Förderung des Selbstverbesserungsstrebens wichtig, die im Harrison-Paradox die weiche Gegenseite des Selbstbewusstseins ist. Ein großes Selbstbewusstsein ist prima, aber es muss durch den Wunsch zur Selbstverbesserung ausgeglichen werden, sonst wird es unangenehm und penetrant. Wer sich in diesem Paradox ausgeglichen verhält, der kann fruchtbare Kritik von unfruchtbarer trennen und ist auch nicht zufrieden, wenn keiner etwas sagt.
„Wir sind an Ihrer ehrlichen Meinung interessiert“, hätte die Hotelangestellte mit Blickontakt sagen können. „Der Koch freut sich über Feedback, ich gebe es gerne weiter“, der Restaurantleiter.
Wer ausgewogen zwischen Selbstbewusstsein und Selbstverbesserung handelt, weiß auch, dass ein mit gut bewerteter Vortrag, Gästefragebogen oder eine andere Evaluierung keineswegs bedeutet, dass nichts zu optimieren ist. Umgekehrt muss eine Kritik nicht notwendigerweise bedeuten, alles in Frage zu stellen.
Ich gebe allerdings zu, dass es nicht immer leicht ist, zu entscheiden, welche Anmerkung berechtigt ist und welche nicht. Letzte Woche bekamen wir die Rückmeldung eines 15jährigen zu unserem Selbstlernkurs Berufsziel. Der Schüler ist gut damit zurechtgekommen, es hat ihm geholfen, aber er hatte drei Begriffe nicht verstanden, darunter das Wort Intuition. Ich hätte das Wort nun in einer Überarbeitung „übersetzt“, meine Mitarbeiterin war der Meinung, es drinzulassen, weil er das „wissen müsse“. Ich bleibe bei der Übersetzung und sei es nur ein Zusatz in Klammern 😉
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.