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„Du föärschdt“! Wie regionale Besonderheiten Job und Teamarbeit beeinflussen
Als mir alle auch am zweiten Tag des Seminars zwölf Teilnehmer die Hand gaben, war ich erstaunt. Solche Höflichkeit bin ich nicht gewohnt – eher ein freundliches Armeheben, maximal verbunden mit einem Hallo. Schon beim Empfang nachts um 24 Uhr im Hotel begrüßte mich die Rezeptionistin freudig. Sieben Stunden später war sie immer noch gut gelaunt. Wo war ich gelandet? In Thüringen. Kaum 400 Kilometer von Hamburg entfernt sind nicht nur die Straßen, sondern auch die Menschen anders. Selbst in den Unternehmen gäbe man sich täglich die Hand, versicherte man mir, das sei guter Ton…
Die kleine Geschichte gibt mir einen neuen Anlass, hier über ein kaum beachtetes Phänomen zu schreiben: regionale Diversity. Könnte die Verschiedenartigkeit nicht nur Landeskulturen betreffen, sondern auch regionaler Art sein?
Die Antwort ist: Ein klares Ja! Ich selbst bin Kölnerin, stamme mütterlicherseits aus einer urkölschen Familie. Der väterliche Teil kommt aus Niedersachsen. In der Aristotelschen Temperamentlehre ergibt das einen Sanguiniker-Melancholiker-Mix, einen Cocktail aus kölscher Lebendigkeit und norddeutscher Bodenständigkeit und Zurückhaltung.
Und in der Tat: Ich bin und kann beides. Das ist für meine Kunden und auf Seminaren eine gute Mischung, ergibt aber in der Dauerbeziehung mit Kollegen einen bisweilen schwer berechenbaren Wechseltyp. „Ein wenig launisch“ nannte es kürzlich ein lieber Kollege, der ein lupenrein norddeutsches Temperament hat.
Temperamente-Mixe
Ich bin vor 11 Jahren nach Hamburg gezogen und vor ein paar Jahren ins Umland gezogen. Eine Freundin hat den umgekehrten Weg hinter sich. Sie ging nach Köln, ein Jahr später als ich nach Hamburg. Die Kölner Unverbindlichkeit („wir sehen uns morgen“ heißt auf Kölsch „kann sein, kann nicht sein“), artete für sie anfangs in Frust aus. Da lädt sie 10 neue Kollegen ein, alle sagen begeistert zu, und am Ende sitzen nur zwei da. Den anderen ist nicht mal eingefallen abzusagen. Solche Szenen würden sich hier im Norden nie abspielen.
Es ließen sich noch viel mehr Beispiele für regional unterschiedliche Temperamente finden. Doch wie wirkt sich solche Unterschiedlichkeit auf den Job aus? Sowohl zugezogene Führungskräfte als auch Mitarbeiter sollten ja wissen, was auf sie zukommt? Was mache ich, wenn ich nicht die nächsten 10 Jahre jeden Morgen jedem in meiner Abteilung die Hand geben möchte?
Tue, was du willst, aber rede drüber
Mein Vorschlag: Es nicht tun. Aber darüber sprechen. Sagen: „Bei uns ist es üblich, dem anderen einfach zuzunicken. Ist es okay für euch, wenn ich dabei bleibe?“ Es wird okay sein, weil es damit ausgesprochen ist. Es ist sowieso eine Grundregel: Wer versteht, warum sich der andere so oder so verhält, wird damit viel besser zurechtkommen. Das ist in Partnerschaften so, und in Teams nicht anders. Für den Neuen gilt: Spreche über deine Motivation, Dinge zu tun oder nicht! Und für die „Alteingesessenen“: Akzeptiere den anderen. Oder um es Kölsch zu sagen: „Jeder Jeck ist anders.“ Lass ihn. Ein Team profitiert von Verschiedenenartigkeit – auch von regionaler.
Diversity heiß Jeder Jeck ist anders
Die Idee der Verschiedenartigkeit liegt darin, Verschiedenes auch verschieden sein zu lassen – und nicht etwa einen Einheitsbrei daraus zu machen. Ich erinnere mich an den amerikanischen Vorstand eines Unternehmens, für das ich einmal arbeiten durfte. Er war in jedem Winkel der Welt gewesen, aber so unheimlich offen gegenüber anderen, dass selbst die Mitarbeiter mit langen Betriebszugehörigkeiten und der damit so gut wie immer einhergehenden Veränderungsresistenz ihn positiv sahen. Das ist neben dem „Rede drüber“ ein weiteres Geheimrezept.
Zwischen Standardisierung und Differenzierung
Doch Offenheit muss von beiden Seiten kommen. Und das ist manchmal schwierig. Denn wie soll ich wissen, was in anderen Bundesländern und Regionen Usus ist, wenn ich nur in dem einem gelebt habe? Wie erschließen sich mir Eigenheiten, die sich sogar zwischen nahgelegenen Ortschaften von Unter- und Oberfranken zeigen? In einer Zeit, in der die englische Bewerbung Normalität wird und wir deshalb allerorts den Eindruck haben, eine Variante setze sich durch – eine Variante der Bewerbung, des Verhaltens untereinander, der Teamarbeit?
Schade, dass es keinen interkulturellen Karrierereiseführer für Deutschland gibt.
Du föärschscht!
Verhalten ist das eine – aber erst die Sprachgewohnheiten! Ein fränkisches „du föärschdt“ (du fährst) ist für einen Norddeutschen gewöhnungsbedürftig, wenn er es überhaupt versteht. Komische Sprache – die andere, denken wir (oder kringeln uns vor Lachen). Wenn ich nach Köln komme und mal wieder bei A.T.U. einkehren muss, klingelt mir das Kölsche vertraut, aber irgendwie auch ein wenig Straßenjargohaft in den Ohren. Kann es sein, dass einen häufige Umzüge hochnäsig machen? Ich, mit den Stationen „halbes Leben“ in Köln, fünf Jahren Düsseldorf und 11 in und um Hamburg, bin nun alles andere als weitgereist. Aber ich merke dennoch, dass mir der Blick und Sinn für regionale Eigenheiten verloren gegangen ist. Wie geht es jemanden, der viel mehr unterwegs war, meist jobbedingt? Kann er noch sehen, was seine Mitarbeiter und sein Team ausmacht?
Dabei könnte ein schärferer Blick auf den regionalen Hintergrund in der Personalauswahl manchen Persönlichkeitstest überflüssig machen. Einen Thüringer können Sie, das sage ich nach drei Tagen, aus meiner Sicht bedenkenlos in Service und Vertrieb einsetzen. Kundenkontakt? Kein Thema: Er wird überwiegend freundlich und zugewandt sein – wohingegen sich manch wortkarger Hamburger nicht mal als Taxifahrer eignet. Wie gut, dass es bei uns im Norden so viele freundliche ausländische Mitbürger gibt – und eine Handvoll Kölner Frohnaturen.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
ein interessanter und recht lustig geschriebener Artikel, vielen Dank!
Interessant v.a. auch, weil ein anderer Dialekt alleine bereits Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen hervorruft, wie Shiri Lev Ari herausgefunden hat:
http://ed.iiQii.de/gallery/KeyPerformance/ShiriLev_Ari_uchicago_edu
Noch spannender wird es, wenn man die geschichte unter dem Gesichtspunkt des Evolutionsmanagement sieht; wir ahnen welche Widerstände gegen unbewusstes Verhalten zu überwinden sind…
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/White_crowned_SparrowDachsAmmer_wikimedia_org
Hallo Erich, danke für den Kommentar. Den Hinweis auf den Dialekt bei Singvögeln finde ich (be-)denkenswürdig. danke und LG Svenja
Ich kann dem Artikel in Gänze zustimmen. Als Nordlicht, seit mehr als 10 Jahren in Sachsen wohnend, habe ähnliche Erfahrungen machen dürfen. Dennoch finde ich es spannend und bereichernd auf unterschiedliche Dialekte und regionale Besonderheiten zu treffen.
Mit meinem Dialekt falle ich auf, besonders hier in Sachsen. Besonders dann, wenn ich Plattdeutsch rede – dann wissen meine Mitmenschen “ah der kommt nicht von hier”. Dabei erfahr ich immer wieder Neugier – komme so mit Menschen schnell ins Gespräch, dabei sind sie stets freundlich und nett.
Die Sachsen und Nordlichter verbindet eines, ihre Sturheit. Das Nordlicht steigert es noch in Verbindung mit Wortkargheit.
Da hat Ihre Kollegin Glück jehabt, dat zwei von zehn doch noch jekommen sind. Der Kölner (und ich darf das als Kölner sagen) nimmt seine Äußerungen halt nicht so ernst.
Aber ernsthaft: Erfolgreiche Unternehmen haben ein Mixtur aus lokalen und (inter-) nationalen Führungskräften. Geschwindigkeit, bei gefühlter Stabilität, ist heute ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.