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Montag sprach ich darüber, dass Ausbildungen durchaus manchmal Sinn machen, heute geht es weiter mit einer Frage, die mir Berufserfahrene sehr oft stellen: Was mache ich, wenn ich beruflich relativ weit gekommen bin und kein Studium habe oder keines abgeschlossen? Erste Frage: Vielleicht doch noch beenden? Wie viele Scheine gibt es? Wie viele sind in credit points umzurechnen?

Die Gründe für einen Abbruch empfinde ich manchmal als geradezu tragisch, vor allem wenn dieser kurz vor der Prüfung erfolgte. Anfang/Mitte der 1990er Jahre war es Usus, begabte Techies aus dem Studium zu holen und sie mit hohen Gehältern zu locken, während ihre Kommilitonen in Servicejobs Taschengelder verdienten. Natürlich haben die, die das angenommen haben, so kurz gedacht wie die Kinder in dem berühmten Marschmallow-Experiment (die, die warten konnten, wurden später beruflich erfolgreicher als die, die die ihr Bedürfnis sofort stillten) – aber neben Geld und schneller Bedürfnisbefriedigung spielt hier sicher auch Zugehörigkeit und die Möglichkeit mit seinem Wissen etwas bewirken zu können eine Rolle. Die schnellen Aufsteiger waren oft die, die später – also ab etwa  2000 – besonders gern aus den nun satten Firmen rausgeworfen wurden. Mit viel Erfahrung im Gepäck, aber ohne den Schein, den man heute dann doch oft notwendig braucht. Und auch ohne Ausbildung, was es noch schwieriger macht und machte.

Aber, wer das noch nicht weiß: Man kann nach so vielen Berufsjahren die IHK-Prüfung, etwa zum Fachinformatiker, recht einfach nachmachen. So wie auch andere Prüfungen, man muss nur sechs Jahre einschlägige Berufserfahrung nachweisen. Und hat dann zumindest einen offiziellen Ausbildungsnachweis. Studienabbrecher finden sich nicht nur in der IT, sondern überall. Dem einen war das Politikstudium zu theoretisch, der nächste warf bei Interferenzstatistik das Handwerk. Andere wurden krank, kamen mit dem Thema nicht zurecht oder entwickelten – die wohl häufigste Variante – schlicht keinen ausreichenden Ehrgeiz. Nicht zuletzt hat der Studienabbruch auch mit Faulheit oder mangelnder Selbstdisziplin zu tun. Ist ja schöner, in Kneipen rumzuhängen. Oder was Kreatives zu machen. Das Leben zu leben. Oder so.

Aber dann muss auch mal genug sein. Ich habe meinen Ex-Freund aus Studienzeiten, der sich der Musik verschrieben hatte, so lange genervt, bis er ein Ingenieur-Studium anfing und dann auch abschloss – inzwischen ohne mich (das Studium war aber nicht der Grund für die Trennung). Er ist seit Jahren gut im IT-Geschäft und kennt kaum finanzielle Sorgen. Mein jetziger Partner hat sein abgeschlossenes Studium ebenfalls einer Frau zu verdanken, die ihn nach der Aufgabe von Studium A bis hin zum Abschluss von Studium B motivierte. Trotz dieses Beispiels ist das Studienabbruchproblem keineswegs typisch männlich, nur etwas weniger Frauen brechen ab. Besonders viele in Mathematik und Physik, die eine oder andere hatte ich hier mal sitzen – Grund war oft, dass sie das Gefühl haben nicht mithalten zu können, weil sie sich nicht tagein nachtaus mit dem Thema beschäftige mochten, was für die Männer hingegen selbstverständlich war.

studienabbruchDann gibt es auch immer wieder die, die das Studium nicht schafften, weil sie das falsche gewählt haben und weder Ehrgeiz noch Leidenschaft sie rettet. Ich erinnere mich an einen Mitschüler, der so oft durchs erste juristische Staatsexamen Jura flog, dass danach finis war (ich meine nach dem dritten Mal). Heute gibt es für solche Fälle die Möglichkeit, sich Credit Points anrechnen zu lassen und dann beispielsweise auf Wirtschaftsjura umzusatteln. Überhaupt haben sich aus meiner Sicht die Chancen, ein Studium doch noch zum Abschluss zu bringen, deutlich verbessert – auch durch den „kleinen“ niedrigschwelligen Abschluss Bachelor.

Viele Studienabbrecher machen sich selbstständig – teilweise auch, weil sie anders kaum eine Chance am Markt hätten oder schlechtere Aufstiegsperspektiven. War bis vor einigen Jahren sogar die Vorstandsetage für einen Praktiker ohne Hochschulabschluss erreichbar, schlossen sich die Türen in den letzten Jahren gerade bei großen Unternehmen immer mehr. Das stellt die Menschen jenseits der 40 Jahre, die schon relativ weit oben stehen – für die auch das Studieren weit weniger selbstverständlich war als für die jetzige Generation – vor eine schwierige Situation. Nicht nur einmal saß ich einem Abteilungsleiter oder Geschäftsführer gegenüber, dem es sichtlich peinlich war, „nur“ eine Lehre abgeschlossen zu haben und der geradezu Minderwertigkeitskomplexe zeigte. Spätestens an diesem Punkt wird es für mich kritisch. Wenn Menschen die teilweise bissigen Bemerkungen „warum haben Sie denn nicht studiert?“ nicht aushalten und darunter wirklich leiden, würde ich dazu raten, doch noch mal in den sauren Apfel zu beißen. Das ist wie mit mancher Schönheits-OP: an sich überflüssig, sorgt der Abschluss dann doch für neues Selbstbewusstsein. Denn sonst weiß man irgendwann nicht mehr, was eigentlich die Ursache für den Misserfolg bei Bewerbungen ist: das fehlende Studium oder das geringe Selbstbewusstsein, mit dem man Fragen danach beantwortet. Man kann ein Studium auch noch mit 50 schaffen, vieles wird sogar leichter fallen, nur das Auswendiglernen schwerer. Und es gibt so tolle Möglichkeiten im Fernstudium!

Gern werden berühmte Studienabbrecher wie Bill Gates zitiert, um Abbrechern Mut zu machen. Nur darf man nicht vergessen, dass diese Abbrecher 1. Ausnahmeerscheinungen sind und 2. eine Gegenüberstellung erfolgreicher Abbrecher und erfolgreicher Abschließer nicht erfolgt. Ich habe es nicht ausgerechnet, aber vermute, dass die Abschließer dann eben doch überwiegen. Eine wichtige Frage i dieser Aufgabenstellung bleibt natürlich, wie man Erfolg definiert.

Viele Abbrecher, die sich selbstständig gemacht haben, verstecken ihren Abbruch in aufgespoilten Internet-Vitaes. Oft ist es offensichtlich, wenn jemand den Schleier auf seine Vergangenheit legen will. Entweder er erwähnt seine Vita gar nicht oder aber er hebt alle möglichen Aspekte hervor, nur nicht den Abschluss. Das ist doch albern: Wenn, dann bitte zu den Entscheidungen der Vergangenheit stehen! Bei persönlichkeitsorientierten Dienstleistungen will ich wissen, wer mich berät und was er/sie gelernt hat. Ich gebe allerdings zu, dass es immer noch schrecklich viele Leute gibt, die sich lieber etwas vorgaukeln lassen und an die dicke Hose glauben, auf die einige machen. Ich meine, nur so kann es sein, dass LKW-Fahrer Sekten-Gurus werden und Intellektuelle in ihre Fänge bringen. Wer auf Emotionen zielt, braucht keine Scheine. Und ein hoher IQ scheint wirkungslos.

Doch es gibt auch genügend andere, Abbrecher und solche mit Abschluss, die eine offene Kommunikation goutieren. Man sollte die Sympathiewirkung nicht unterschätzen. Es kann unheimlich charmant sien, wenn man geradeheraus ist. „Ja, ich habe nicht studiert/abgebrochen. Ich gebe zu, ich bereue das.“ Oder: „Ja, ich habe nicht studiert. Ich bereue das nicht, denn nur so konnte ich….“ Bei Studienabbrechern gibt es solche und solche: Die, die die wie mein damaliger Freund einfach einen kleinen Tritt in den Hintern gebraucht hätten, denn das Leben ist kein Ponyhof und manchmal muss man sich halt etwas zusammenreißen (finde ich). Und die, die durch Umstände und Familie einfach nicht die Chance bekommen haben oder in ein Fahrwasser geraten sind, deren Dynamik damals nicht zu überblicken war. Man muss nicht studiert haben, um richtig gut zu sein und viel zu wissen, absolut nicht. Manche der Fachfremden kennen sich besser aus als die vom Fach. Manche der Praktiker sind auch viel besser als Theoretiker. Dennoch hat der Abschluss eben auch noch mit etwas anderem zu tun: Ich zeige, dass ich etwas durchhalte und zuende bringe. Und ganz so unwichtig ist das dann eben doch nicht. Gar nicht mal für den Arbeitsmarkt. Für einen selbst.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

4 Kommentare

  1. sonny 6. November 2013 at 17:32 - Antworten

    Für die Generation 40+ gibt es noch weitere Aspekte: Zu derer Lehrzeit gab es nur die techn. Berufsmatur, heute gibt es einige mehr und sie sind allen Berufssparten zugänglich. Zudem wurden einige (früher normale) Lehrausbildungen wie Laborantin, Ernährungsberaterin, Krankenpfleger neu auf FH Niveau angehoben. Bei Absolventen von Ausbildungen, wo dem nicht so ist, haben nun ein Problem. Mit familiären Verpflichtungen sieht man sich kaum in der Lage die Berufsmatur nachzuholen, ist diese Verpflichtung vorbei, fragt man sich ernsthaft, ob es sich lohnt diese nachzuholen. Zudem gibt es an einigen FH auch eine Alterslimite. Für diese Menschen scheint dieser “akademische” Graben unüberwindbar……….

  2. designal Martina Hardt 7. November 2013 at 10:07 - Antworten

    In Karlsruhe gibt es vom CyberForum im Bereich IT die Initiative #FinishIT http://bit.ly/189dz1F

    Kurzinfo: Finish IT ist ein Förderprojekt* für Studienabbrecher/innen, Quereinsteiger/innen, Migrant/innen und IT-Interessierte, die in kurzer Zeit einen qualifizierten Berufsabschluss erreichen wollen. – See more at: http://bit.ly/189dz1H

  3. Laubbaum 7. November 2013 at 23:30 - Antworten

    Hallo Svenja, ich gehöre zu den Menschen, die in den 90er Jahren ein so sehr attraktives Angebot aus der Wirtschaft bekommen haben, dass ich mein Informatikstudium geschmissen habe. Damals war ich mir anfangs nicht sicher, ob dieser Weg der richtige war, weshalb ich parallel zur Berufstätigkeit noch 2-3 Jahre lang immatrikuliert war, um noch einen Rückweg offen zu halten. Nachdem es dann aber im Job relativ schnell weiter ging und sich das Gehalt zudem entsprechend weiter entwickelte, blieb ich bis heute diesem Weg treu. Bis heute, toitoitoi, habe ich diesen Schritt nicht bereut. Damals, Anfang der 90er Jahre explodierte der IT Markt förmlich: Der PC kam auf den Markt, Windows nebst Applikationen ebenfalls, usw. aber die Universitäten konnten ihren Lehrplan garnicht so schnell anpassen, wie es aus meiner damaligen Sicht nötig gewesen wäre. Ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, dass ich heute mit einem abgeschlossenen Informatikstudium aus den 90ern sicher nicht mehr überzeugen könnte.
    Eines muss ich allerdings sagen: Obwohl ich diesen Weg nicht bereue, so hätte ich mich zeitweise besser gefühlt, wenn ich den Zettel in der Tasche gehabt haette. Das lag dann aber weniger an meiner Leistungsfähigkeit sondern eher daran, dass der eine oder andere Schwierigkeiten hatte, andere Lebenswege nachzuvollziehen und zu respektieren.

    • Svenja Hofert 8. November 2013 at 18:41 - Antworten

      Hallo, danke für die persönliche Erfahrung. Vollkommen richtig, es ist meist nicht so sehr das eigene Gefühl zu wenig zu können, sondern die Resonanz der anderen. Und da ist halt die frage, wo locker ich die wegstecken kann. Einige können das, andere nicht 😉 LG Svenja

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