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„Ich will den Himmel garantiert“- oder von der Irrationalität der Entscheidungsfindung
Ab und zu haben wir es mit Klienten zu tun, die sich nicht entscheiden können. Ihre Wahl ist nicht die zwischen Himmel und Hölle, sondern zwischen möglichen Fegefeuern. Das heißt, sie haben das Problem, das wir alle haben, wenn wir nicht wissen, wohin uns eine Entscheidung führt. Und das können wir nie wissen.
Im Idealfall entscheiden wir uns für etwas, was vor dem derzeitigen Wissenshintergrund, vor der derzeitigen Situation und mit Blick auf die von der Entscheidung betroffenen Menschen Sinn macht. Diese Sinn machende Entscheidung in der Beratung herauszuarbeiten, ist mein Ansatz. So eine Entscheidung wird man immer vertreten können, auch wenn man es später doch anders gemacht hätte. Man hat die beste Entscheidung getroffen, die zu diesem Zeitpunkt möglich war. Was will ich mehr?
Es gibt Menschen, die wollen mehr. Die 100%ige Entscheidung, die Garantie für den Himmel. Wer den Himmel geschenkt möchte, neigt zum Entscheidungs-Delegieren. Solche Leute haben alles durchdacht, wissen alles, kennen sich, die anderen, durchschauen Interaktionen. Egal, in welche Richtung man fragend vordringt, dort waren sie auch schon. Es ist ein Kreisverkehr ohne Ausfahrt. Es ist unmöglich, mit ihnen Entscheidungskriterien zu definieren, denn sie sind nicht in der Lage, sie zu gewichten. Das Bekenntnis zum einen bedeutet den Verzicht aufs andere.
Lisa ist so jemand: Sie hat eine Lehre gemacht und sie für schlecht befunden, ein bisschen gearbeitet und das Arbeitsleben als „doof“ bewertet, bis jetzt vier Fächer anstudiert, alle nach wenigen Semestern abgebrochen… Nun hat sie gerade das Physicum bestanden. Sie überlegt wieder abzubrechen, weil der Krankenhausgeruch sie nervt, um sich dann mit einem Fotostudio selbstständig zu machen. Darin hofft sie ihre Berufung zu finden, denn danach sucht sie. Gleichzeitig könnte sie ein Kind bekommen und eine Familie gründen oder aber sich von ihrem Freund trennen, um sich einer Liebschaft zuzuwenden. Sie könnte auch Krimis schreiben, weil andere ja auch damit bekannt geworden sind – Frauen, die weniger gut schreiben können als sie. Puh! Nicht mal die Wahrsagerin konnte ihr etwas sagen, was sie nicht schon wusste. So kommt unterm Strich ein hübsches Sümmchen für das Sich-Nicht-Entscheiden-Müssen zusammen.
Was geht in solchen Leuten vor?
- Sehr viele von ihnen sind neurotisch. Das heißt, sie kreisen sich um sich selbst, die Antennen für das Leid, das sie damit bei anderen verursachen, sind schwach wie Seidenfäden. Sie entscheiden nicht, weil die Entscheidung des einen der Verlust des anderen bedeuten würde.
- Sehr viele haben ein geringes Selbstbewusstsein. Sie entscheiden nicht, weil sie von allen geliebt werden wollen. Sie sind abhängig vom Feedback anderer und ständig damit beschäftigt, Kritik zu vermeiden. Deshalb hatten sie oft gute Noten und galten als Schüler, Student oder auch im Berufsleben als sehr leistungsstark (in einer Phase also, die wenige eigene Entscheidungen erfordert). Einige sind zusätzlich permanent damit beschäftigt, andere zu beneiden. Alle sind besser, bei schlechteren (!) Voraussetzungen weiter gekommen, haben mehr erreicht…
Natürlich sind mindestens die unter 1. fallen, therapeutische Fälle, auch wer sich bei 2. wiederfindet, dürfte meist auch von einer Therapie profitieren (wobei es auch hier diejenigen gibt, die mehrere Therapeuten zerschliessen haben, die alle nichts brachten…) In jedem Fall gilt es bei 1. und 2. den eigenen inneren Kern zu stärken und damit auch die ungesunde Abhängigkeit von anderen zu verringern.
„Gut, dann mache ich eben einen Fehler. Aber ich habe entschieden, das ist einfach genial.“ Sich selbst, seine Fehlerangst oder den Vergleichsneid ins Lächerliche zu ziehen kann enorm hilfreich sein. „Ich kann mich ja weiter mit Heidi Klum vergleichen, aber ich habe nun mal 20 Zentimeter kürzere Beine als sie. Das mit dem Modelwerden kann ich knicken. Clown vielleicht?“ Oder: „Klar können andere Krimis schreiben und berühmt werden, aber ich krieg halt nicht mal die erste Zeile aufs Papier.“
So eine Haltung, die man üben und immer wiederholen kann, zieht die ganze Schwere aus der Entscheidung und nimmt ihr das Rationale. Irrationales kann nur irrational bekämpft werden, sagt der Begründer der Logotherapie Viktor E. Frankl. Also, denken Sie nicht weiter nach, damit drehen Sie sich nur im Kreis. Lachen sie stattdessen mal über sich selbst.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Provokante Frage, Frau Hofert: Ist dieses Vorgehen wirklich immer sinnvoll?
Sie schreiben: “Im Idealfall entscheiden wir uns für etwas, was vor dem derzeitigen Wissenshintergrund, vor der derzeitigen Situation und mit Blick auf die von der Entscheidung betroffenen Menschen Sinn macht. Diese Sinn machende Entscheidung in der Beratung herauszuarbeiten, ist mein Ansatz.”
Konstruktivisten, wie Heinz von Förster, würden ihnen entschieden darin widersprechen, dass dies möglich ist. Begründung: Jede/r nimmt die Welt anders wahr, je nach ihren/seinen Eindrücken und Erfahrungen. Durch diese Konstruktion von subjektiven Wirklichkeiten ist Ihr Idealfall, eine quasi objektiv richtige Entscheidung finden zu können, zumindest sehr fraglich. Mein Ansatz wäre, meinem Gegenüber darin zu unterstützen, die für ihn/sie persönlich stimmige Entscheidung zu finden. Und diese muss für mich persönlich nicht unbedingt immer den größten Sinn machen.
Hallo Herr Müller, ich find das nicht provokant – und bin nicht sicher, ob ich mich richtig ausgedrückt habe. Natürlich meine ich den Sinn vor dem individuellen Hintergrund, also auch durchaus objektiven Unsinn, sofern es Objektivität gibt. Dass jeder die Welt anders wahrnimmt ist für mich nichts, was ich für besonders erwähnenswert halte…. weil es so logisch ist. Oder? Sprechen wir von unterschiedlichen Dingen oder de gleichen? LG Svenja Hofert
Liebe Frau Hofert, offensichtlich haben wir da doch keinen großen Dissens. Ob Objektivität überhaupt existiert, ist tatsächlich eine schwierige Frage. Dass subjektiver Sinn mit objektivem Unsinn – von einer Metaebene aus betrachtet, auf der es Objektivität gibt – konkruent sein kann, muss angenommen werden. Mit besten Grüßen ins schöne Hamburg. Norbert Müller