2015 war ein gutes Jahr für Bewerber, allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden. Im Süddeutschland sei es fast unmöglich arbeitslos zu sein, sagen mir Kollegen – das gelte jedenfalls für Nichtführungskräfte. Trotzdem sind Quereinstiege oft extrem schwierig – auch da alle Bereiche immer spezieller werden. 7 Themen, die 2015 wichtig waren und wie es 2016 weitergeht.

1. Karrieretrend Spezialisierung

Etwa 30-40 Bewerbungen kommen auf viele Fach- und Führungspositionen in Norddeutschland. In beliebten Feldern wie Marketing, vor allem im Produktmanagement, sind es oft drei bis vier Mal so viel. Ist allerdings eine hohe Spezialisierung nötig, was immer öfter so ist, sinkt die Zahl der Bewerber. Wer fragt, woher ich die Zahlen habe: Keine Statistik, das beruht vor allem auf der Nachfrage meiner Kunden sowie Aussagen von Personaler-Kollegen. Klares Fazit: Es gibt immer noch genügend Bewerber, von flächendeckendem Fachkräftemangel im akademischen Bereich (!) kann keine Rede sein. Aber: Die Anforderungen an die Spezialkenntnisse steigen fast monatlich. Gerade weniger bekannte Unternehmen beklagen zwar zu wenige Bewerber, Konsequenzen ziehen sie aber kaum. Immer noch bewerten Firmen die konkreten Fachkenntnisse höher als andere Fähigkeiten. So ist es oft schwierig und langwierig, die Branche oder Funktion zu wechseln. „Sie haben ja kein Netzwerk in der Branche.“ „Ihnen fehlen die Programmierkenntnisse in Y.“ „Sie kennen das Tool X ja gar nicht.“ Selbst Bewerber, die bereit wären, zurück auf Start zu gehen, treffen selten auf Wohlwollen. Hier hilft nur eins: Systematisch Kaffeetrinken á la Lars Hahn. Und Geduld. Außerdem Geld auf der hohen Kante für die eine oder andere Weiterbildung und natürlich für Reisen zu den Gesprächspartnern.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Klassische Bewerbungswege übergehen, hier wird fast nur nach formalistischen Kriterien ausgesucht. Wer eine Bewerbung nach einem persönlichen Gespräch erwartet, wird diese anders aufnehmen. Wenn Sie jemanden kennen, gehen Sie immer den Weg über die Empfehlung.

2. Karrieretrend Sinn

Der Grund, warum viele Bewerber wechseln wollen? Es geht um den Sinn. Auf meinem Karrierestandortfinder-Modell, mit dem ich eingangs Themen orte, tippt der Finger sehr oft auf den Kreis mit diesem Begriff. Was man bisher macht, wird als sinnentleer begriffen: Es gibt Marketingleute, die keine Konsumenten mehr beeinflussen wollen, Vertriebler, die ehrlich zu ihren Kunden sein möchten und Finanzer, die sehen, dass diejenigen am meisten verdienen, die ethische Produkte außen vorlassen – was natürlich frustriert. Ich vermute dass die Agentur Talents for goods eine wahnsinnige Anzahl von Bewerbungen verarbeiten muss. Nur sind diese Jobs rar. Ich denke auf Arbeitgeber rollt hier ein riesiges Thema zu.  Menschen wollen sich ethisch korrekt verhalten, sie möchten keine Ressourcen verschwenden, kein Greenwashing betreiben und auch niemanden über den Tisch ziehen. Das betrifft längst nicht mehr nur die GenY. Besonders freue ich mich, dass eine Kundin aus internationalen Konzern, der alle Türen überall offen gestanden hätten, einen solchen Sinn-Schwenk geschafft hat und nun etwas ganz anderes machen wird. Es zeigt auch Unternehmen: Mit den bisherigen Strukturen, die auf Abhängigkeit und internen Wettbewerb der Leistungsorientierten beruhen, werdet ihr wirklich gute Leute nicht mehr halten können.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Es kann für die Neupositionierung Richtung Sinn nur individuelle Lösungen gibt. In jedem Fall brauchen Sie Willenskraft und Strukturiertheit, um Veränderungspläne konsequent umzusetzen. Ein bisschen Sinn-Shopping beim Karriereberater bringt nichts… Man muss auch umsetzen, Durststrecken akzeptieren, eventuell Geld zuschießen. Und aufhören zu denken, dass es normal sei, sechsstellig zu verdienen 😉

3. Karrieretrend: Immer höher qualifiziert

Die Akademisierung ist nicht auf dem Massenmarkt angekommen. Ich habe mir bei Indeed.de die jeweils drei ersten Seiten mit Stelleninseraten in Städten wie Hamburg, Köln, Karlsruhe, München angesehen. Unter den rund 35 Einträgen pro Stadt fanden sich maximal 10%, die explizit für Akademiker bestimmt sind. Das entspricht lange nicht den Marktanteilen. Angesichts dieses Ungleichgewichts verstehe ich den Frust vieler studierter Bewerber, die sich als Kundenberater, in niedrigen Assistenzpositionen oder Sachbearbeiter verdingen müssen. Sie hatten studiert mit der Hoffnung, einmal besser dazustehen. Und haben nun sogar Nachteile im Vergleich zu Kollegen, die eine Ausbildung gemacht haben.

Nie habe ich so viele Hochqualifikationen gesehen wie 2015. Immer mehr haben promoviert und viele sogar mehrere Studienabschlüsse parallel erworben. Erstaunlich, dass manche Online-Formulare darauf nicht eingestellt sind. Es lässt sich fast überall nur ein Studienabschluss einpflegen – zum Beispiel bei Aldi (siehe Foto).

aldiDie vielen Abschlüsse wirken sich nicht immer nur positiv auf die Karriere aus – vielfach punkten die besonders hochqualifizierten Bewerber genau wegen ihrer Vita nicht. Mein Eindruck ist generell, dass der Arbeitsmarkt zwar eine enorme Spezialisierung im technischen Bereich fordert, die nicht-technischen Akademiker aber schwer aufnehmen kann und diese auch nicht entwickeln will. Ich bin ja der Meinung, dass ein Sprachwissenschaftler, der sich mit Dekonstruktion und ähnlichen Themen beschäftigt hat, auf einer verbalen Ebene mindestens so analytisch denken kann wie ein Physiker, was etwa im Online-Marketing super wertvoll wäre. Das wird indes selten so gesehen.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Spezialisierte Master als Zweit- oder Drittstudium können eine Menge bringen und einen guten Einstieg in neue Bereiche bereiten, wenn man sich gut überlegt, wo man damit hinwill. Die meisten studieren eher ohne Plan das „Bekannte“ und vermeintlich Sichere – oft Fächer, die eher überlaufen sind und nicht jene, die zum Arbeitsmarkt passen. Das Angebot wird aber breiter und auch besser: Wer bisher keinen technischen Bezug hatte, findet inzwischen auch nicht-konsekutive Master, die Informatik enthalten.

4. Karriere-Trend: Besser gefunden werden

lupeminion-889302_640Seit einiger Zeit versucht Xing mir mit immer neuen Vorschlägen seine Keywords schmackhaft zu machen. Statt „Karrierecoaching Ausbildung“ sollte ich bitte Coaching bieten. Täglich belehre ich die Maschine: passt nicht, passt nicht, auch nicht. Ich klicke mir die Finger wund. „Haben wir Sie richtig verstanden?“, fragt Xing. Meistens nicht. Mein Profil ist aber auch etwas speziell. Die Suchmaschine lernt schnell  – so bin ich zuversichtlich, dass sich das Blatt für die meisten Xing-Nutzer durch immer spezifischere Suchwörter zum Besseren wenden wird. Dass die Trefferquote steigt, habe ich dieses Jahr auch bei Kunden gemerkt. Es werden mehr über Xing und Linkedin angesprochen und die Anfragen werden spezifischer. Ich habe nicht mehr so oft von Fällen gehört, bei denen jeder per Serienbrief angesprochen wurde, der „Java“ im Profil stehen hat.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Noch besser gefunden werden. Da könnten viele Bewerber Xing und Linkedin noch mehr zuarbeiten…

5. Karriere-Trend: Skype

2015 fanden immer mehr Skype-Interviews statt, auch Führungskräfte der zweiten Ebene wurden vor den Computer gebeten, nicht mehr nur bei Einsteiger. Selbst meine Mutter fragt mich „wollen wir nicht mal skypen“ und sie hat das Computerzeitalter sonst weitgehend verpasst. Skype-Interviews werden für immer mehr Firmen und Personalberater zum Recruiting-Instrument. Es ist jetzt häufiger der zweite Schritt nach dem Telefonat. Das finde ich eine gute Sache, denn manche teure Anreise könnten sich beide Seiten sparen, wenn sie das Internet nutzen würden, um wichtige Fragen zu klären und den ersten Eindruck zu checken.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Bewerber sind oft kritisch gegenüber Skype-Interviews – zu unrecht. Unternehmen könnten Vorbehalte nehmen, in dem Sie klarer sagen, welche Rolle das Interview im Prozess spielt – tut fast keiner. Bewerber sollten sich vorbereiten. Wie sitzen Sie, was sieht man in Ihrem Umfeld? Testen Sie es vorher.

6. Karriere-Trend: Tests

Weiter geht es mit dem Recruiting: Im langfristigen Trend immer beliebter werden Tests. Leider, denn die meisten Unternehmen wenden diese stümperhaft an. Wenn ein MBTI nach drei Vorstellungsgesprächen angewendet wird, um zu prüfen, ob die gesuchte Person ein „ENTJ“ ist, also eine richtige Führungsperson im Klischeebild von Menschen, die nicht wirklich verstehen, was sie da tun, dann läuft da eine ganze Menge schief. Dieser Typenindikator ist erstens nichts fürs Recruiting und zweitens war die Idee nie, Menschen in Schubladen zu zwängen. Ich kann nur an HR-Abteilungen appellieren, verantwortungsvoll mit Persönlichkeitstests umzugehen. Im Recruiting haben nur wirklich valide Methoden etwas zu suchen – und die lassen sich an einer Hand abzählen.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Tests ja, aber liebe Personaler: bitte nicht ohne Rückmeldung an den Bewerber, was die Ergebnisse waren und wie diese in die Entscheidung einbezogen werden oder nicht. Bewerber müssen wissen, welchen Stellenwert ein Test im Prozess hat. 95% machen das nicht. Liebe Bewerber, bitte einfordern!

7. Karriere-Trend: Englisch bitte, ehrlich bitte, aber kein Foto

Früher gab es die Regel: Englische Stellenanzeige, englische Bewerbung. Deutsche Stellenanzeige, deutsche Bewerbung. Inzwischen stelle ich fest, dass immer mehr Bewerber nur noch ihren englischen Lebenslauf nutzen und damit gut fahren. Eine Zeitlang war es notwendig zwei Versionen parallel zu pflegen – in internationalen Umfeldern ist das nicht mehr so. Ein Lebenslauf reicht, Anschreiben ist oft nicht wichtig oder nicht nötig. Internationale Unternehmen mögen auch kein Foto, was eher schwer in die Köpfe deutscher Bewerber zu bekommen ist. Weiterer Trend ist die ehrliche Bewerbung, in der Bewerber auch mal sagen, was sie nicht können. Lesen Sie dazu den Spiegel-Online-Beitrag “das alles kann ich nicht”.

Der Karrieretrend 2016 – so geht es weiter: Der Lebenslauf sollte die wichtigsten Fakten enthalten. Das bedeutet auch, dass das Business weniger bekannter Unternehmen erklärt wird und Positionen übersetzt. Auch fantasievoll benannte Studiengänge muss man zunehmend erklären.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

9 Kommentare

  1. Robert Koch 13. Dezember 2015 at 11:05 - Antworten

    Sehr geehrte Frau Hofert,
    ich lese regelmäßig ihre Artikel – auch der obige ist sehr gelungen und sehr informativ.
    Mir geht es ebenso: ich habe 25 Jahre Berufserfahrung, habe 2011 die Geschäftsleiterprüfung (letzte große Prüfung in unserer Bankakademie) abgelegt und ein Jahr darauf mein Studium abgeschlossen.
    Sehe ich mir nun aber die Stellenausschreibungen an so passen nur sehr wenige (obwohl ich mir sicher bin, sehr viel für einen Arbeitgeber mitzubringen).
    Leider scheinen es HR-Abteilungen auch nicht der Mühe wert zu finden zumindest ein Erstgespräch zu führen.
    Ist halt leider so – da hilft eben nur weitersuchen und auf ein Unternehmen hoffen welches nicht stur nach Vorgabe Leute sucht.
    Robert Koch
    P.S.: Der Link am Ende des Mails (“Spiegel”) geht ins Leere…

  2. Christian 14. Dezember 2015 at 4:10 - Antworten

    Interessante Trends, die für das neue Jahr anstehen. Die Jobinterviews per Skype hatte ich noch gar nicht so auf dem Zettel. Klingt auf jeden Fall spannend.
    Gruß

  3. Christoph Burger 15. Dezember 2015 at 9:39 - Antworten

    … da ist es “fast unmöglich, arbeitslos zu sein”: In welchem Süddeutschland ist das denn? Also in der Region Stuttgart jedenfalls nicht – da kann man schon noch arbeitslos sein 😉 Aber wenn sich die Arbeitssuchenden an den von dir beschriebenen Tipps und Trends orientieren, bleiben sie eher in Arbeit. Danke für den interessanten Beitrag & viele Grüße

  4. Johannes Winterhalter 15. Dezember 2015 at 13:37 - Antworten

    Auswertungen von Stellenanzeigen und Freiberuflerbörsen haben bei mir dasselbe Bild ergeben – sehr spezielle Anforderungen, zu einem großen Teil Personalberater. Die scheinen oft nach folgendem Geschäftsmodell zu verfahren: der neue Stelleninhaber muss 200.000 im Jahr erwirtschaften, 50% davon sind Lohn und Lohnnebenkosten, 25% bekommt der Personalberater und 25% der einstellende Betrieb. Und so steigen die Anforderungen an die Bewerber, weil nicht jeder so viel erwirtschaftet. Eine Einarbeitung kommt überhaupt nicht in Frage, weil sie in diesem Modell den Gewinn für den Betrieb und Personalberater komplett auffressen würde.

  5. […] Sinn von Arbeit spielt für viele Menschen heute eine immer höhere Bedeutung, wie auch Kollegin Svenja Hofert in ihrem Jahresausblick 2016 konstatiert. XING lässt seine Mitglieder im neuen Stellenmarkt nach familienfreundlichen oder […]

  6. Martina Anders 18. Dezember 2015 at 11:28 - Antworten

    Ich kann mich dem “doch arbeitslos in Süddeutschland” leider nur anschließen. Dipl.-Ing. Architektin breit aufgestellt und viele Jahre Auslandserfahrung ist fürs Ländle wohl zu exotisch.
    Danke für den Blog & Grüße aus Ulm

  7. Sven 27. Dezember 2015 at 17:00 - Antworten

    Vor Tests habe ich keine Angst. Ich bin jetzt zu 6 Tests (zwei auf französisch, vier auf flämisch) nach Belgien gefahren, wo man mich eingeladen hatte. Davon war ein Test online, wo ich nur virtuell in Belgien war. Eigentlich sind Tests sogar noch besser als nur den Lebenslauf nach irgendwelchen Sachen zu prüfen.

    Die Bewerber schrecken vor Skype zurück? Hach, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich das Internet viel stärker in meine Bewerbungen eingebunden. Eine Beraterin, die mir meine ehemalige Firma an die Seite gestellt hatte, war strikt dagegen, dass ich das Internet für die Bewerbung benutze. Die Angaben, dass ich überhaupt ein Blog führe als auch Links in den Lebenslauf einzubauen, wollte sie nicht. Mein Blog wäre nicht geeignet und würde meine wunderbaren Bewerbungsunterlagen kaputt machen.

    Natürlich darf ich als Bewerber das Internet nutzen, um die Stellenanzeigen zu finden, aber ich dürfte der Firma nicht die Möglichkeit geben, sich einfach über meine Fähigkeiten/Kompetenzen zu informieren, die man in zwei Seiten Lebenslauf überhaupt nicht unterbringen kann. Gerade für die ausländischen Firmen habe ich die Links eingebaut, damit sie meine Sprachfähigkeit sehen können.

    Letztlich war es kein Vor-oder Nachteil, wenn in der Bewerbung meine Blogadresse angegeben haben. Zwei Firmen haben mich trotzdem eingeladen.

  8. Texterclub 8. September 2017 at 11:18 - Antworten

    Ein sehr informativer Artikel, den wir im Texterclub nur so bestätigen können. Zum 3. Karriere-Trend gibt’s für 2017 laut Infratest ein Update: Der Punkt ist 2017 noch wichtiger. Neben Weiterbildung als wichtigem Faktor für HR-Entscheider, Bewerber einzustellen, gilt das auch für berufliche Weiterentwicklung, Jobwechsel, etc.

    Mehr dazu haben wir hier noch mal zusammengefasst, wenn es jemanden interessiert: http://bit.ly/2eLzl7M

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