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Schöner trennen: Raus aus dieser Bürohölle und dir geht´s besser

Veröffentlicht: 29. Oktober 2013Kategorien: Karriere und Beruf

quitQuit your Job! Um Trennung geht es in der aktuellen brandeins. Nach langer Zeit habe ich mal wieder richtig gern einen Schwerpunkt von Wolf Lotter gelesen. Einen Bogen von Yoko Ono zu IBM zu ziehen – wirklich ein kreativer Handgriff, Chapeau. Die Botschaft des Leitartikels ist so einfach wie einleuchtend: Trennung kann fruchtbar und gesund sein. Und Trennungshelfer sind nicht so böse wie es nach außen oft aussieht: Yoko Ono etwa sei eher eine Geburtshelferin gewesen. Lennon, so liest man, soll es ohne die Beatles viel besser gegangen sein.

Psychologisch könnte man sagen: Die Bezugsgruppe McCartney hat ihm nicht gut getan. So wie das Selbstbewusstsein mittelmäßiger Fußballer in einer Schulklasse voller Superkicker automatisch leidet, senkt auch ein leistungsstarkes Umfeld das eigene Selbstbewusstsein. Nehmen wir ein Karriere-Beispiel: Ich gehe davon aus, dass in der privaten Eliteuni WHU Otto Beisheim eher Leistungsaffine studieren. Die dauernde Gesellschaft dieser Leistungsträger senkt das Selbstbewusstsein des Einzelnen. Das kann einerseits dazu führen, dass man Gas gibt, um aufzuholen (und mit den anderen auch nachts noch lernt). Und andererseits, dass man abhaut und sich woanders stressfreier verwirklicht. Zum Beispiel da, wo es weniger Leistungsjunkies gibt und der WHU-Flüchtling mit seiner Leistung mehr punkten kann. Das ist übrigens System in Strategieberatungen. Das Umfeld senkt das Selbstbewusstsein, der immer latent gährende Selbstzweifel ist der beste Leistungsbooster. Dieser gruppendynamische Effekt ist für Firmen, die eine gewisse Abhängigkeit wollen, ausgesprochen nützlich. Mit einer ausgeklügelten Einstellungs- und später Aufsteigsordnung sorgt man zusätzlich dafür, dass er auf Dauer erhalten bleibt.

Aber schauen Sie sich mal an, was aus Leuten geworden ist, die im Up or Out-System auf einer relativ frühen Stufe rausgeflogen sind: Nicht selten Großes! Auf jeden Fall oft Medienwirksameres. Ist es doch letztendlich für einen selbst und andere spannender eine neue Supermarkt-Kette, einen Bestseller zu schreiben oder ein geniales Startup zu gründen als einer von hunderten Partnern zu sein und PowerPointfolien zu schrubben. Once again: Der Lennon-Effekt. Raus – und dir geht´s besser.

Ich sehe viele Zwangsgetrennte und immer mehr freiwillig Gehende – und stelle fest: In unserer aktuellen Arbeitswelt stehen diejenigen ungleich besser da, die öfter mal gehen. Gerade im digitalen Umfeld baut man sich so unschlagbare Profile auf. Neben den ganzen Kontakten.

Aber auch wer länger irgendwo war und geht, obwohl es gut war, profitiert meist. Kaum ist man in einem anderen Umfeld, führt die Erfolgskurve – manchmal nach einer kurzen Erholungsphase – oft nach oben. Wie bei John. Ohne die lästige Vergleichsgruppe der McCartney-Beatles oder anderer Kollegen, wird vieles möglich, was vorher oft unmöglich schien. Es gibt diese  Atkinson-Formel für Erfolgswahrscheinlichkeit aus den 1960er Jahren, mit der man berechnen kann, wie es für einen selbst aussieht.

Wenn Me (das Erfolgsmotiv) größer ist als Mm (die Misserfolgstendenz) und der Anreiz groß genug ist (mittelschwer ist super), geht die Post ab – es steigt die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit. Und das beeinflusst die objektive bzw. die Wahrnehmung der anderen.

Lotter zitiert in dem Beitrag gegen Ende IBM: Die wertvollsten Mitarbeiter seien die, die nicht bleiben müssten. Deshalb screent der Konzern seine Mitarbeiter auf Markttauglichkeit. Es wird nicht nur geschaut, ob Qualifikationen aktuell sind, sondern auch eine Prognose über die Nachfrage und den Marktwert der nächsten Jahre gegeben. Ich habe das noch nie zuvor von einem Unternehmen gehört, aber finde es genial! Es würde so viele Probleme lösen, wenn alle Angestellten ihren Marktwert kennen – und entsprechend bewusst daran arbeiten könnten. Es erhöht die Unabhängigkeit, die in Zeiten, in denen Firmen Geschäftspartner und nicht Fürsorger sind. Und das ist nur gerecht, denn der Arbeitgeber holt seine Angestellten – die heute eben immer öfter auch Unternehmer sein müssen – eine Zeit vom freien Markt.

Doch Unternehmen sehen das nicht. „Immer wieder fragt man mich, wieso ich so oft gewechselt habe“, schreibt mir gestern ein Kunde. Er wollte eigentlich nur sein Profil schärfen, ebenso legitim wie zeitgemäß. Auf Gegenliebe stößt das in traditionellen Branchen eher nicht. Vielmehr ist es verdächtig. Ich finde: Ein komisches Spiel: Einerseits bieten Unternehmen keine Sicherheit, andrerseits wollen sie Abhängigkeit (oder keine Unabhängigen, was aufs Gleiche rauskommt). Seltsam. Oder auch nicht: typisches Zeichen von Umbruchphase.

So werden die coolen Kündigungsvideos, die derzeit aus dem angloamerikanischen Raum durchs Netz ziehen, sich wohl in Deutschland nicht verbreiten. Und nicht so viele werden so mutig sein wie Hilmar Pfister, der seine Stelle als Tageszeitungsredakteur kündigte, ohne etwas Neues in Aussicht zu haben. Zu frustrierend das Leben in einer Branche, die nur noch jammert…. (Die Sache mit der Bezugsgruppe gilt auch hier).

Aber extreme Freiheitsschläge sind vorher doch gut zu überlegen: Wer wird jemand einstellen, der durchs Büro hüpft wie Rumpelstilzchen und den Frust über den Chef rappend ablässt? Leider sind derartige “Quit-Job-Videos” wohl eher ein Hindernis, sofern das Dreherzeugnis nicht zur Arbeitsprobe gereicht. Andrerseits: Das radikale Zuschlagen von Türen hat auch schon viele geöffnet. Siehe John Lennon.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

5 Kommentare

  1. Silke Schippmann 29. Oktober 2013 at 15:32 - Antworten

    Schöner Artikel, sehr treffend – vielen Dank!

  2. Andrea Effinger 31. Oktober 2013 at 12:12 - Antworten

    Liebe Svenja,

    dieser Artikel spricht mir sowas von aus der Seele! Kann man sich darüber freuen, arbeitslos zu werden? Ja, man kann, dein Beitrag bestätigt es, und lässt dieses Gefühl weniger absurd erscheinen.

    Grüße
    Andrea

    • Svenja Hofert 31. Oktober 2013 at 13:55 - Antworten

      Liebe Andrea, Dankeschön! Na man hat doch nur ein Leben, wieso sollte man es ohne Sinn verbringen? LG Svenja

  3. Ralf bloggt 3. November 2013 at 11:47 - Antworten

    meine erwerbsbiographie war lange zeit von wechseln nach kurzer zeit durchsetzt. das habe ich lange betrauert und als schweizer käse bezeichnet. ich habe es einfach nicht geschafft irgendwo länger zu bleiben. oder konnte es wegen der finanz-und wirtschaftskrise dann doch nicht. einmal las ich in einem bewerbungsratgeber, drei wechsel in zehn jahren verzeiht einem der personalverantwortliche. was aber wenn ich schon drei wechsel in fünf jahren habe? ich glaube dann geht das leben doch weiter 😉 . es gibt immer einen weg. raten würde ich aber jedem berufsanfänger, zu kucken das man es ein paar jahre auf seiner ersten oder zweiten arbeitsstelle aushält. so gut es eben geht. damit man ein solides fundament im lebenslauf hat und sich irgendwann die neuen jobs deshalb gerade deshalb raussuchen kann.

  4. Claudia Goldhammer 6. November 2013 at 18:34 - Antworten

    Ein sehr guter Artikel, der nicht nur gut zu lesen ist, sondern mir direkt aus der Seele spricht – auch “brandeins” kann ich nur empfehlen … Dankeschön!

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