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Da haben wir uns ja mal wieder gut unterhalten: Warum Coaching mehr sein muss als ein gutes Gespräch

Veröffentlicht: 3. Oktober 2017Kategorien: Mindset und Entwicklung

Mensch, da haben wir uns doch wieder richtig gut unterhalten. Tolles Gespräch, gute Vibes. Wir mögen uns, aber wir drehen uns zusammen im Kreis; es ändert sich nichts. Aber gut war´s. Und der Coach richtig nett. Aber nett kommt halt von „netto“ und netto heißt nichts…

Viele Coachinggespräche unterscheiden sich kaum von normalen Dialogen unter Freunden – selbst wenn der systemische Fragenkoffer ausgepackt wird und die gesammelte Kunst des Fragens angewendet wird. Ein Coaching, das Veränderungen einleitet oder einleiten soll (etwa im Rahmen der Führungskräfteentwicklung), sollte mehr sein als das Stochern in den Gedankengängen, die jemand ohnehin schon hatte.

Der double loop besagt, dass eine Schleife mehr gedreht wird – die Schleife zurück nämlich, die die der Problemlösungsstrategie zugrunde liegende Annahme in Frage stellt. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf Learning, aber was ist Coaching anderes? Wenn wir Coaching als Lernprozess definieren, dann kann es also auch single und double loop Coaching geben.

Wir arbeiten in unseren Ausbildungsgruppen bei TeamworksPLUS und Psychologie-Grundlagen viel mit double loops, weil sie tiefer gehen. Diese Schleifen greifen hinter das eigentliche Thema, stellen die Grundannahme hinter der Problemformulierung oder das Ziel an sich in Frage. Double loops bringen bisheriges Denken ins Wanken. Sie provozieren mehr neuronale Aktivität, erhöhtes Feuern im Kopf und können deshalb die Basis für neue NMDA-Rezeptoren legen, die wiederum neues AMPA entstehen und Verbindungen wachsen lassen, die die Basis für Veränderungen des Gehirns sind. Double Loop Coaching verlangt immer den Moment einer Irritation, vielleicht löst es auch erst einmal Widerstand, ein “Nein, so ist das nicht”aus. Ein guter Coach wird es schaffen, das aufgebaute Vertrauen dennoch zu bewahren, aber möglicherweise zeitweise auf gemeinsames Wohlfühlen verzichten müssen. Denn gerade wenn der Gedanke nicht sofort aufgenommen, sondern sogar abgelehnt wird, aber dennoch weiter rotiert, ist das im Sinne von Entwicklung ein gutes Zeichen. Überlegen Sie mal, was Sie aus der Vergangenheit betrachtet am weitesten gebracht hat. Es waren höchstwahrscheinlich Situationen, denen sie am Anfang am liebsten entkommen wären, wo sie innerlich “nein” gesagt haben, sich erwischt fühlten, gestört….aber auch solche wo sie überraschend festgestellt haben, geht doch, könnte Sinn machen, mal versuchen, ja!

Wann double Loop Coaching?

Stellen wir uns Ihre Lernmöglichkeiten wie ein Gefäss vor. Es hat eine bestimmte Form, die die Art der Aufnahme bestimmt. Wenn Sie im Coaching oder Training tätig sind und Teilnehmer die Inhalte aufbereiten lassen, werden Sie oft überrascht sein, mit welchen “Ohren” das, was sie gesagt haben aufgenommen und ins eigene Denken gebracht werden kann. Ich bin jedesmal baff erstaunt. Es ist das “Gefäss” der Teilnehmer. Jeder hat ein anderes.

Lernen bedeutet, neue Informationen in das vorhandene Gefäß des Denkens zu füllen. Das heißt die Inhalte werden immer individuell abgewandelt, gekürzt, verändert. Es kommt Neues dazu, aber das Gefäß – man könnte auch sagen das Schema – ändert sich nicht. Hier greift man auf vorhandene Ressourcen zurück. Das Auffüllen des Gefässes reicht, wenn es um einfache Fragestellungen geht. Das reicht nicht, wenn

  1. Der Coachee steckenbleibt oder in die gleiche Richtung läuft wie immer (was er im Grunde nicht mehr will oder was das Grundproblem nur verschiebt).
  2. Eine Führungskraft oder ein Mitarbeiter war intellektuell alles begreift, aber kein Handeln daraus ableiten kann.
  3. Ein Team oder die Organisationseinheit mit diesem Denken nur so weiter machen wird wie bisher, womit die aktuellen Probleme vertagt, aber nicht gelöst werden.

Bei Entwicklung ist das anders: Sie hilft auch das Gefäß zu transformieren. Das ist der Double Loop. Das Begriffspaar Double Loop und Single Loop geht zurück auf Chris Agyris, einem der großen Theoretiker der Organisationsentwicklung. Durch den double loop entstehen Gedanken, die vorher nicht da waren. Im Kontext beruflicher Neuorientierung ist der eingefahrene Denkkreislauf schon deshalb der Normalfall, weil diese weit überwiegend mit Entwicklung zu tun haben. Neuorientierer befinden sich sehr oft am Übergang der Richtig- zur Effektivphase, im Sinne Loevingers also von E5 zu E6 (hier ein Video zur Ich-Entwicklung). Coaching muss hier ganzheitlicher sein und ist nicht selten therapienah. Ein Thema, das viele Business Coachs, auf Ressourcenaktivierung und Zielerreichung programmiert, oft irritiert und an Grenzen bringt. Nein, es geht bei double loop-Betrachtung gar nicht um die Ziele, sondern um Aufarbeitung der Vergangenheit oder familiäre Themen, die berufliche Handlungsmuster entstehen ließen.

Der „Loop“ lässt sich auch sehr gut auf organisationaler Ebene spielen: auch Organisationen und Teams verharren gern in ihrem Single Loop – oft geht auch der Teamcoach nicht darüber hinaus. Ich spreche gern von einer “Vision ohne Beine”, wenn diese zwar ein hübsches Gesicht, aber keinerlei Umsetzungskraft hat, weil sie keine Richtung anzeigt. Der double loop kann das sichtbar machen. Im Teamkontext bedeutet der single loop, dass die bisherigen Problemlösungsstrategien des Teams aktiviert werden – nicht aber die zugrunde liegenden Annahmen in Frage gestellt werden. Das ist okay bei einfachen Aufgaben, etwa Teambuilding. Das bringt nicht viel mehr als ein gutes Gefühl, wenn es um Grundsätzlicheres geht. Im Single Loop liegt verhaltensökonomisch betrachtet immer auch ein Stück Selbstbestätigungstendenz. Wir bestätigen das, was wir ohnehin schon wissen.

Typisches Beispiel aus dem beruflichen Kontext: Ein Coachee hat eine berufliche Krise noch nicht ganz verarbeitet, aber möchte schon Visionen verwirklichen – möglichst schnell, um endlich alles hinter sich zu lassen. Grundkenntnisse der Psychologie reichen, um zu verstehen, dass nun eigentlich erst einmal eine Menge Baustellen aufgeräumt werden sollten. Manchmal haben berufliche Krisen damit zu tun, dass man sich mit aller Kraft für etwas engagiert hat und nun die fehlende Wertschätzung spürt. Manchmal sind sie Folge Jahrelanger Konfliktvermeidungsstrategien. Nicht selten schließlich bildet die Karriere familiäre Konstellationen nach und deren Emotionalität. Auch die Frage “was sind meine wirklichen Stärken” könnte im Double Loop betrachtet – wenn der Coachee dafür reif ist (wenn er die Phase E6 nach Loevinger erreicht hat bzw, merkt, dass er keine befriedigenden Antworten mehr findet).

Coachs, die lediglich den Wünschen und Impulsen des Klienten hinterherfragen und möglichst viel Ressourcen für „Neues“ freigraben wollen, könnten ziemlich bald die Erfahrung machen, dass  die besten Ziele und größten Visionen auch nichts nutzen, wenn solche Themen dran sind. Eigentlich sind sie dann nur Problemverschieber.

Single-Loop-Coaching = Wohlfühlcoaching

Viele Coachs wollen, dass ihr Klient sein Ziel erreicht und verwechseln die Beziehungsebene mit “sich mögen”, was problematisch ist. Coachs, die – um das überspitzt zu formulieren – “geliebt” werden wollen, sind vielleicht gute Gesprächspartner, aber schlechte Helfer zur Selbsthilfe. Coachs, die auf reine Zielerreichung coachen und dabei das Ziel ihres Coachees nicht in Frage stellen, kommen in Veränderungssituationen an Grenzen. Ein Coach sollte nichts wollen, außer dem Coachee Hilfen zu geben, aus dem selbstempfundenen Dilemma herauszukommen. Wenn er seine eigenen Glaubenssätze von einer besseren Welt, von Augenhöhe, Selbstbestimmtheit etc. auf seinen Coachee überträgt – und das geschieht allein schon durch die Auswahl von Fragen (die kann man nicht lernen, die kommt aus dem Denken des Coachs!) – kann er überfordern, unterfordern und vor allem: oft nicht wirklich wirksam helfen.

Hört auf zu coachen von Svenja Hofert

Hört auf zu coachen von Svenja Hofert

Deshalb sollten Coachs ihre eigenen Grundannahmen kennen und nie davon ausgehen, dass es die gleichen sind wie die des Coachs. Allein dieser Gedanke macht Double Loops viel leichter möglich. Double Loop-Coaching fördert die Entwicklung besonders, wenn Menschen in der Effektiv-Phase (E6) stehen und dazu neigen, für eigene Werte und Vorstellungen vom Leben die Verantwortung zu übernehmen – und dabei manchmal übertreiben. Beispielsweise die Führungskraft, die so sehr an eine sinnerfüllte Arbeitswelt auf Augenhöhe glaubt, dass sie dadurch die Augen vor den Konflikten des Alltags schließt. Oder der von Selbstverwirklichung beseelte Neuorientierer, der an der eigenen Idee scheitert, weil diese zu groß ist und nicht in die derzeitigen Lebensumstände passt.

Über das Thema passgenaue Interventionen je nach Entwicklungsphase schreibe ich in meinem Buch „Hört auf zu coachen“, das am 2.10.2017 erschienen ist (mehr auf der Bücher-Seite). Wenn Sie das Thema interessiert, dann lohnt sich die Bestellung.

Tipps für Double Loop-Coaching

  • Gehen Sie Ihrer Intuition nach. Haben Sie ein frühes Störgefühl? Sind die Ziele des Klienten wirklich die, die sein Problem lösen? Ist das Problem erkannt?
  • Fragen Sie den Coachee, welche Grundannahmen hinter dem Gesagten stehen. Welche Überzeugung über die Welt, das Leben, den Beruf, Karriere, Führung, Einflussbereiche etc. stehen dahinter?
  • Verlässt der Coachee den Circle of Influence oder definiert er ihn viel zu eng? Was würde sich doch beeinflussen lassen, wenn man die Grundannahme ändert? Auf Teamebene will ich hier nur das “working Underground” als Führung von unten nennen.
  • Scheuen Sie sich nicht vor Beratung im Sinne des Teilens von Erfahrungswissen. Wer Beratung und Coaching als Kontinuum betrachtet, kann sich hier souveräner bewegen.
  • Fragen Sie „was haben Sie noch nicht gedacht“, „welcher Gedanke wäre wirklich neu?“ oder „was würden Sie niemals tun?“
  • Achten Sie sehr auf die nonverbalen Reaktionen Ihres Gegenübers. Wo sehen Sie Irritation, vielleicht auch Widerstand und Erschrecken? Thematisieren Sie diese, Die nonverbale Ebene ist für den Double loop essentiell.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

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