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Berufswahl: In welchen Berufsfeldern eine spätere Neuorientierung wahrscheinlicher ist als in anderen

Veröffentlicht: 15. Januar 2016Kategorien: Mindset und Entwicklung

Grundsätzliche Fehlentscheidungen bei der Berufswahl nehmen zu. Unserer Erfahrung nach ballen sich Unzufriedene in bestimmten Berufen und Branchen. Ich habe unsere persönliche Unzufriedenheitshitliste erstellt – und hänge einen Überblick der besonders zufriedenen Berufstätigen gleich hintenan.

Diese Berufe wollen oft ganz umsteigen:

Juristen

Viele Juristen haben das Fach studiert, weil man ihnen gesagt hat, mit Jura könne man alles machen. Das stimmt natürlich nicht, die Wege sind abhängig von den Noten viel stärker vorgezeichnet als in anderen Studienfächern. Bei Juristen treten die Orientierungsprobleme besonders häufig schon beim Berufseinstieg auf, da das Studium nach wie vor nicht darauf angelegt ist, vielfältige und -seitige Wirtschaftsberufserfahrung zu erwerben. Umstieg nach vielen Berufsjahren ist meist schwer, wenn juristisch gearbeitet wurde. Oft fehlt für Managementpositionen die kaufmännische Erfahrung. Ein MBA kann helfen: Juristen sind oft grandiose Analytiker, gute Verbalakrobaten und strategisch stark. Deutsche Arbeitgeber schauen leider aber zu oft nur auf Fachkenntnisse.

Journalist

Dass Journalisten und PR-Mitarbeiter besonders häufig eine Karriereberatung aufsuchen, ist sicher auch unserem Standort Hamburg und meiner Medienpräsenz geschuldet. Aber nicht nur. Journalisten zeigen mir überdeutlich, was Unzufriedenheit erzeugt – es sind Unsicherheit und Druck. Was passiert mit meiner Branche? Wo werde ich in Zukunft meine Brötchen verdienen? Diese Frage stellen sich Ingenieure (noch) nicht, aber sie ist überall da präsent, wo die Digitalisierung um sich greift. Und trotz aller Chancen – wer nicht weiß, wohin die Reise geht, kann nicht planen. So wird aus manchem ehemaligen Traumjob und trotz grundsätzlicher Passung manchmal ein Alptraum oder doch wenigstens Fragezeichen. Neue Traumjobs sind für Leute, die inhaltlich sehr anspruchsvoll arbeiten durften, ziemlich schwer zu finden – am ehesten oft dann doch noch selbstständig.

Ingenieure

success-882592_640Ingenieure ergreifen den Beruf, gerade heute, vermehrt mitnichten aus Leidenschaft. Viele merken im Job, dass sie zwar gut rechnen und schrauben können, sind aber z.B. als Elektrotechniker frustriert über die enorm hohe Arbeitsteilung in der Produktion, extremen Branchenkonservatismus (homosexuelle Ingenieure haben es schwerer als Marketingleute, vor allem in der Industrie) oder klagen als Maschinenbauer über mangelnde Produktidentifikation. Ganz oft hören wir, dass Ingenieure und noch mehr Wirtschaftsingenieure fast zum nächsten BWL geworden ist – man studiert es, weil man sich davon Zukunftschancen erhofft. Und ist nicht selten überrascht, dass es zwar Jobs gibt, man aber ganz schnell auf ein Thema festgelegt ist, was gerade für offenere und kreative Persönlichkeiten unbefriedigend ist. Und dann bindet einen das Geld… Oft macht es Sinn, noch mal genau zu schauen, was die persönlichen Stärken sind und durch Aufbau neuer Themen oder Weiterbildung den Fokus zu verändern.

Marketingmenschen

Der typische Marketingmensch hat BWL studiert, und wenn er „brav“ war auch eine Werkekaufmannausbildung oder ein Traineeship gemacht. Doch dieses Grundgerüst reicht nicht mehr. Zahlen, Daten, Fakten sind längst ins Marketing eingezogen. Ohne digitales und datenanalytisches Know-how wird es schwierig. Es trennen sich zudem analytische und kommunikative Bereiche – wobei der analytische Bereich mehr Richtung Informatik wandert und der kommunikative mehr Richtung Social Media und Digital.

Unzufriedenheit kommt noch aus etwas anderem: Marketing hat viel mit persönlicher Entwicklung zu tun. Am Anfang des Berufslebens begeistern sich noch viele für tolle Marken… aber mit den Jahren kommen die Skrupel. Will man Kunden manipulieren und übers Ohr hauen? Darum geht es ja oft in Zeiten von Apps und Online-Werbung! Glückliche Umsteiger sehe ich da, wo sich die Erfahrung mit einem Interesse und einer Leidenschaft verbindet. Stellen Sie sich vor, Sie haben gestern überteuerte Kosmetik in übergroße Töpfe gefüllt und nun vermarkten Sie Yoga-Kurse. Der Umstieg ist möglich…. Nur wie fast nirgendwo sonst mit extremen Gehaltseinbußen verbunden.

Vertriebler

Viele Menschen landen zufällig im Vertrieb, schlicht, weil sich nichts anderes ergeben hat – und/oder weil sie eher extravertiert wirken, was bei vielen Arbeitgebern automatisch „der passt in den Vertrieb, jippih“ auslöst. Bei Vertrieblern stellen wir immer wieder fest, dass ihre Motivatoren und Persönlichkeitseigenschaften langfristig nicht zum Jobprofil passen.

Aufgrund der relativ hohen Gehälter sind Vertriebler aber nach einigen Jahren fast Gefangene des Zufalls ihrer Jobwahl – sie kommen noch viel schlechter raus als Marketingleute, die – so jedenfalls meine Erfahrung – leichter Konzessionen an ihr Einkommen machen können. Im Vertrieb ist es zudem wichtig aufs Produkt zu schauen. In engen Märkten ist dieser Job deutlich unbefriedigender als in jungen und dynamischen.

Lehrer

Lehrer sind oft in einer schlimmen Zwickmühle: Haben Sie den Job aus Sicherheitsgründen gewählt, sind sie von der Persönlichkeit meist keine leidenschaftlichen Pädagogen, die ihre Energie daraus ziehen, jungen Menschen etwas auf den Lebensweg mitzugeben. Sensible Charaktere oder analytische Denker finden in der Schule selten das Umfeld, das sie bräuchten oder suchen. Viele finden auch ihre intellektuellen Bedürfnisse nicht erfüllt. Umstiegschancen sind jedoch schlecht, weil die Industrie keine Lehrer sucht. Und weil ein Lehrer, einmal verbeamtet, diesen Status nur dann aufgibt, wenn die Belastung extrem ist. Viele bauen sich eher Nebengeschäfte auf und reduzieren Arbeitszeit. Schul- und Schulformwechsel können auch eine Lösung sein.

Diese Berufe wollen selten komplett umsteigen:

Finanzexperten

Ich habe überlegt und überlegt, aber mir fiel nicht ein Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, Controller oder Bilanzbuchhalter ein, der GANZ raus wollte aus dem Bereich. Es war eher so, dass Weiterqualifikation im Karriereberatungsfokus stand. Meine Erklärung dafür ist, dass Finanzleute ihren Bereich in der Regel bewusst gewählt haben und tatsächliche Stärken im Bereich der Zahlenanalyse einbringen. Typische Karrierecoaching-Themen liegen gerade in diesem Fachbereich oft in der Persönlichkeitsentwicklung.

Polizisten

In unserer Karriereberatung gibt es diese Berufsgruppe de facto nicht. Meine Vermutung ist, dass die Polizei doch relativ viele intrinsisch und idealistisch motivierte Menschen lockt. Man verdient wenig und muss viel dafür tun – so ein Job zieht keine Karrieristen. Generell dürfte die Fluktuation in diesem stark gelenkten und strukturierten Bereich niedrig sein – man entwickelt sich innerhalb des Systems.

Verwaltungsangestellte

Während ich öfter mal mit Politikern zu tun hatten, die ihre Karriere beflügeln wollten, tauchen Verwaltungsangestellte bei uns so gut wie gar nicht auf. Kein einziger Steuerfahnder (außer zur Betriebsprüfung), nur eine Handvoll Sozialversicherungsangestellte und ein zu vernachlässigender Teil städtischer Angestellter. Allerdings hatte ich einen gewissen Anteil an kirchlichen Würdenträgern. Die sind allerdings auch nie komplett unzufrieden mit ihrer „Branche“, sondern es geht um andere Themen. Weiterkommen und Weiterbildung zum Beispiel.

Eher selten ganz umsteigen wollen auch Künstler, Musiker, Ärzte, Professoren (wenn wollen sie mehr Praxis) und generell Personen mit einer ausgesprochenen Fachexpertise. Offenbar öfter zufrieden sind auch Architekten, Geologen und viele, die Studiengänge absolviert haben, von denen man sonst gerne abrät, z.B. Soziologie. Warum? Meine Erklärung ist, dass diese Leute oft wirklich viel dafür tun, Fuss zu fassen und sich gut überlegen, wo sie hinwollen. Es geht ihnen außerdem selten ums Geld. Diese Interessensteuerung zahlt sich meiner Meinung nach langfristig in höherer Berufszufriedenheit aus.

Ach ja: Zweidrittel der Deutschen sind eigentlich zufrieden mit ihrer beruflichen EntwicklungSatisfied Mature Businessman, ergab die spannende Karrieretrends-2016-Studie von Dr. Bernd Slaghuis. Oft ist es auch gar nicht der Job, sondern der Arbeitgeber! Und ganz viele wollen sich fachlich entwickeln.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

6 Kommentare

  1. Christoph Burger 19. Januar 2016 at 11:44 - Antworten

    Hallo Svenja, das ist mal wieder ein schöner, anregender Artikel, danke!
    Meine Beobachtungen sind ähnlich.
    Abweichend: Man kann durchaus genauso ins Controlling reinrutschen, wie in andere Felder (1. Job nach BWL-Studium, nächster Job nach 1. Job, etc….). Meine Ingenieure sind offensichtlich viel zufriedener. Da wollte nie jemand weg aus seinem Beruf, höchstens den Job oder Arbeitgeber wechseln (das natürlich häufig…). Ob die Region Stuttgart hier mehr verschiedene Chancen bietet? Jedenfalls ist der Unterschied zu deinen Beobachtungen hier deutlich. Viele Grüße gen Norden, cb

  2. Sonja Rieder 29. Januar 2016 at 14:24 - Antworten

    Liebe Svenja, danke für diesen Überblick, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Zum Thema Juristen und ihrem hohen Interesse an Jobwechsel habe ich selbst einen Blogartikel geschrieben http://bit.ly/1OU9dDb

    Schätze die Juristen-Szene in Deutschland lockerer ein, hier in Österreich hält sich eine konservative Enklave, die sich in einige wirklich interessierte, toll verdienend Dauer-Arbeiter und viele mit ihrer Berufswahl höchst unglückliche Juristen unterteilt. Teile deine Meinung, Umorientierung meist sehr schwierig, allerdings in den ersten Berufsjahren noch möglich, wenn Bereitschaft besteht, was anderes dazuzulernen und den Horizont zu erweitern.

  3. Erich Hartmann 30. Januar 2016 at 23:39 - Antworten

    Sehr geehrte Frau Hofert,
    eine interessante Fragestellung von Ihnen durchaus lesenswert aufbereitet. Ich kann Ihnen im Ergebnis zustimmen. Die Frage ist, ob wir hier ein Phänomen beobachten, daß gernerell bei “engen” Berufsbildern auftritt? Und im Gegensatz Menschen mit einer stärkeren Generalistenausbildung (also z.B. Wirtschaftsingenieure) hier weniger Anlass zur Umorientierung haben?
    Gruß, Erich Hartmann

    P.S.: Ich würde diesen Artikel gerne auf meinem eigenen, kleinen Karriereblog (clownbusiness.de) verlinken.

  4. […] Quelle: Berufswahl: In welchen Berufsfeldern eine spätere Neuorientierung wahrscheinlicher ist als in ander… […]

  5. Heiko Jörges 6. September 2016 at 10:53 - Antworten

    Jura ist meine Ex. Wir haben uns vor drei Jahren getrennt – endgültig! Ich habe 20 (!) Jahre meines Lebens mit ihr verbracht und frage mich: was habe ich damals, jemals an ihr gefunden ? Wir haben nie zusammengepasst, zu keinem Zeitpunkt … oder vielleicht doch, damals? Übrigens: nein, ich habe das Studium nicht aus Verlegenheit studiert, ich wollte als Jurist arbeiten. Hab´s dann auch noch getan. Ich wolle mit diesem unansehnlichen Wesen meine Lebenszeit verschwenden! Nichts ist mir heute so fremd, wie das Studium das ich studiert habe, der Beruf den ich ausgeübt habe. Die Jungs und Mädels im Anwaltszimmer, in den Gerichtssälen, auf den unzähligen Treffen – was hatte ich mit denen gemeinsam, nichts, oder doch ganz viel? Es ist mir heute ein Rätsel. Diese meine Ex ist mir ein Rätsel.

    • Svenja Hofert 7. September 2016 at 23:48 - Antworten

      manchmal erkennen wir beim Blick auf unsere Ex, dass es einen Grund gab, für unsere Entscheidung. Und wenn es nicht mehr passt, hat es oft damit zu tun, dass wir uns verändert haben. LG Svenja Hofert

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