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Und was meinen Sie? Coaching-Fragen als Machtinstrument in der Führungsetage

Veröffentlicht: 19. November 2017Kategorien: Mindset und Entwicklung

Anfangs hatte ich nur einen leisen Verdacht: Könnte es sein, dass die im Coaching vermittelten Fragetechniken auch missbraucht werden könnten? Gerade in Führungsetagen? Dann beobachtete ich das Phänomen immer öfter. Kollegen bestätigten mir einen ähnlichen Eindruck: Überall „Fragenstellende“ Führungskräfte, die klare Aussagen vermieden. Wer fragt, führt, schrieb einst Paul Watzlawick. Doch wer fragt, übt auch eine ganz andere Form der Macht aus. Fragen ist zur Waffe der soften, agilen Führung geworden.

Stellen Sie sich bitte folgendes Szenario vor:

Ein Manager absolviert eine Coachingausbildung. Eine, in der das Thema „Haltung“ eine untergeordnete Rolle und die Toolanwendung eine führende spielt; davon gibt es einige. Der Manager war schon vorher eher der Typ, der sich zu nichts konkret äußerte. Ich habe diese Leute überall gesehen. Sie zeigen keine Haltung, vermeiden Mails, auf die sie festgenagelt werden könnten – aber sie sie können gut mit jedem. Bissig werden sie nur, wenn sie wissen, es schaut keiner hin oder gefährdet ihre Position.

“Was ist denn Ihre Perspektive dazu?”

„Was ist denn Ihre Perspektive dazu?“ Solche Fragen führen in die Umgebung und von einem selbst weg. Eine erkundende Frage kann wunderbar dazu missbraucht werden, erstmal die Gedanken der anderen abzuholen, bevor man eigene äußert bzw. um die eigenen darauf abzustimmen. Manager, die gern in eine coachende Führung dieser Art gehen, haben oft ein kumpelhaftes Wesen, manchmal wirken sie auf einige sogar charismatisch. Bei genauerem Dahinschauen sehen wir: Sie haben narzissistische Tendenzen. Wenn sie lachen, lachen die anderen. Wenn die anderen lachen, lachen sie. Aber das Lachen ist hohl. Schlüpfrigkeit und Witze unter der Gürtellinie werden akzeptiert. Das ist so ein kleines Zeichen, an dem man merken kann, dass etwas Entscheidendes fehlt. HALTUNG. Dazu hier ein älterer Beitrag von mir.

„Und Sie, Frau Müller, wie nehmen Sie das wahr?“

Die Fragen sind bei genauerer Betrachtung einseitig. Bloß keine inquisitorischen Warums, so hat man es gelernt. Warum-Fragen bohren sich in den anderen und wollen mehr, mehr, mehr. Das ist ihr Image. Ich finde, ein zu Unrecht Negatives. Mit “Warum?” deckt man auch Unwissen auf, man könnte auch netter sagen „Was führt sie genau zu dieser Sicht?“, dann ist das Warum weg. Aber ich würde sagen, das Imageproblem des „Warums“ wirkt direkt auf die Popularität des offenen Fragens.

Bleiben wir bei unserem Manager. Nach der Coachingausbildung hatte er weitere „Tools“, um seine Macht zu erhalten. Anstatt Ansagen (oder Aussagen) zu machen, konnte er nun noch besser fragen. Er konnte eigene Antworten noch besser so formen, dass er nirgendwo aneckte, sondern eher andockte bei denen, die dem Machterhalt sichern. Klare Ansagen und Aussagen waren irgendwann so spärlich gesät, dass sich alle in Unsicherheit wähnten. Dabei ist die nette, fragende Führungskraft doch immer so freundlich! Aber in Zeiten agiler Unsicherheit kann sie sich damit eben auch wie eine Schlange durch die Fragezeichen der anderen wühlen. Dann wird sie gefährlich.

Gib mir ein Tool, lass mich nicht selbst denken!

Viele Kurse im agilen Kontext und auch ganze Coachingausbildungen sind vor allem methoden- und technikbezogen. Es geht nicht um das Vermitteln von Haltung. Ich meine Haltung, nicht Meinung – das ist etwas ganz Anderes. Haltung kommt aus dem Mindset. Aber das Mindset ist nichts, das man sich anlegen kann wie eine Klamotte. Ich bin im Zusammenhang mit der Agilitätswelle einige Male an Stellen gekommen, wo das aber erwartet, gedacht oder gehofft wurde. Differenzierung war nicht erwünscht bzw. mit dem vorherrschenden Mindset oder auch der Prägung des Systems (ich nenne das organisationales Mindset) gar nicht möglich.

Haltung setzt Persönlichkeit voraus. Sie entsteht nicht in wenigen Tagen. Menschen ohne Haltung lieben Methoden. Das heißt nicht, dass alle, die Methoden suchen, keine Haltung hätten. Man braucht, wenn man lernt, erst mal Methoden. Sie sind das Lauflerngestell für Einsteiger in etwas Neues. Ist das Lauflerngestell weg, dann kann man auch die Methoden weglegen, verändern oder flexibler mit ihnen umgehen. Das Problem ist, wenn man die ganze Zeit im Laufgestell bleibt…

Wohlgemerkt: Fragen sind wichtig. Ich liebe Fragen. Ich habe schon immer viel gefragt. Aber nicht, weil ich Tools anwenden wollte, sondern weil ich interessiert war an den Perspektiven der anderen. Das ist der entscheidende Unterschied! Und dieser macht Coaching im Unternehmenskontext so verdammt schwierig. Dasselbe „Instrument“ kann hier nützen und dort zum Missbrauch führen. Ich wünschte mir, wir würden mehr auf Haltung schauen. Ich erkläre es in meinem Buch (bestellen) „Hört auf zu coachen“ mit dem offenen Herzen:

  • Ich bin ganz beim anderen; ich denke, wenn ich frage und zuhöre an nichts anderes. Ich bin nicht in der Hypothesenbildung, und ich bin auch nicht bei Lösungen. Ich bin leer und höre zu.
  • Ich erwarte nichts. Ich will nichts Bestimmtes hören. Ich will nicht etwas entdecken, das in meine Wertmaßstäbe passt. Ich will verstehen.
  • Ich interessiere mich dafür, den anderen tiefer und in seinen Facetten zu verstehen und nicht nur nach seiner Meinung durchsuchen, um Stimmungsbilder zu erfahren, die mir nutzen.
  • Ich interpretiere nicht und/oder nutze Begriffe, die mein Gegenüber gar nicht genannt hat (keine Zuschreibungen!).
  • Ich bewerte nicht.

All das ist auf manchen Führungspositionen schwer bis unmöglich. Es liegt am organisationalen Mindset. Es ist kein bewusster Missbrauch. Wenn jetzt allen Führungskräften eingehaucht wird, sie seien Imker und keine Schafshirten mehr, ist das im Training ein prägnantes Bild, doch in seiner Verallgemeinerung höchst gefährlich. Gute, warteorientierte Führung bleibt gute, werteorientierte Führung. Schafe, Bienen, alles ist möglich. Und Führung bleibt „das Bestimmen der Richtung von Bewegung und erfolgreiches Intervenieren in kritischen Situationen“, so unsere Definition bei Teamworks.

Wer nur und immerzu fragt, bestimmt nur eine Bewegung in Richtung Unsicherheit. Das ist keine absichtliche Manipulation. Fragende Rollen nehmen oft Menschen ein, die alles Richtigmachen wollen. Aber Menschen, die alles richtig machen wollen, sind jene wendigen Kommunikations- und Karriereschlangen im System, über die ich anfangs sprach. Sie sind People-Smart, um auf eine der drei zentralen Teamplayer-Eigenschaften nach Lencioni zu sprechen zu kommen. Aber sie sind nicht Hungry in dem Sinne, dass sie wirklich echt und ehrlich lernen und erfahren wollen. Es geht nur um das, was sie betrifft, der Rest ist Höflichkeit bzw. Fragen zur Herstellung einer guten Atmosphäre. Auch die Humbleness bezieht sich nur auf sich und den Kontext, sie ist nicht generalisierbar. Wenn Sie also ein praktisches Denk-Werkzeug suchen, um zu unterscheiden, was einen Frager mit Haltung ausmacht, dann könnte das Lencioni-Modell (mehr dazu hier im Teamworks-Blog) helfen.

Coaching fordert eine klare innere Haltung. Wenn diese fehlt, wird eine glitschige Kommunikationsschlange freigelassen, die man auf den ersten Blick gar nicht als solche erkennt.  Sie sieht nicht wie Macht aus, deshalb mögen sie viele „Agile“. Sie kann sich gut anpassen, deshalb schafft sie es auf höhere Positionen. Man findet sie auch vielfach in der Politik. Und wenn sie jetzt Merkel mit Kretschmann oder auch Kubicki vergleichen – fällt Ihnen mit Bezug auf dieses Thema etwas auf?

Im Coaching spricht man von Interventionen. Doch die wichtigste Intervention ist der Mensch, der interveniert. Das wird oft vergessen. Ich als Coach, als Führungskraft, als Mensch bin das mächtigste “Tool”, das man sich vorstellen kann.

Foto: © Coloures-Pic – Fotolia.com

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

3 Kommentare

  1. Christine Riederer 20. November 2017 at 12:46 - Antworten

    Frau Hofer, danke für Ihren Beitrag, der es auf den Punkt bringt.
    Auch ich kann in der Praxis beobachten, dass es Führungskräfte gibt, die ihre Weiterbildung (Tools, Fragetechniken) nutzen, um von sich weiter abzulenken.
    Es braucht Mut und die Bereitschaft, mit seinem persönlichen Wachstum mehr zu verbinden, als nur persönliche Interessen. Es braucht ein grundehrliches Anliegen und die Erkenntnis, dass mein persönliches Wachstum als Führungskraft enormen Einfluss auf „das Wachsen meiner Mitarbeiter“ ausübt. Nur so entsteht wirkliche Innovation. Ich hoffe, es finden sich mehr, die ihre Persönlichkeit auswickeln wollen und sich dafür mehr Zeit nehmen, als ein 5tägiges Seminar.

  2. Christine Riederer 20. November 2017 at 12:53 - Antworten

    Pardon Frau Hofert, für den Typo in Ihrem Namen.

  3. Ruth Pink 2. April 2018 at 16:46 - Antworten

    Genau, Frau Hofert. Die innere Haltung, Aufmerksamkeit des/der Coach ist das A und O.
    Es ist das “mächtigste Tool” überhaupt…
    Guter Beitrag, Gruß Ruht Pink

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