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Working out loud: Karriereentwicklung im Zeichen von Wir-Kultur und sozialen Medien

Der Film „Honig im Kopf“ wird jetzt mit Nick Nolte und seiner 11jährigen Tochter als Remake im American Style gedreht. Der nächste Karriereschritt: Till Schweiger ist einfach in die USA gereist und hat „seine Leute“ darauf angesetzt, ein Gespräch mit Nick Nolte zu arrangieren. Den wollte er nämlich als Hauptdarsteller. Lerne erstens: Man braucht eine treue Community. Zweitens: Zeige offen, was du willst und woran du arbeitest. Drittens: Wachse, in dem du immer mehr für möglich hältst. „A shift in possibilities“ ist die Überschrift der Einführung von John Steppers Buch „Working out loud“. Es ist eine Erweiterung, “Hochstellung” der eigenen Möglichkeiten. Das hat viel mit dem Internet zu tun. Jedoch anders als Sie vielleicht denken.
Bauen Sie Netzwerke auf Gegenseitigkeit
Ob Herr Schweiger im Laufe seiner Karriere auf soziale Netze zurückgegriffen hat, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich schon: Kontakte schließen ist in Zeiten des Internets leichter als je zuvor. Als ich mich neulich bei Linkedin durchklickte, gelangte ich zufällig auf das Profil des Schauspielers und Internet-Unternehmers Ashton Kutscher. Einen Moment habe ich überlegt, ihm eine Kontaktanfrage zu schicken. Dann habe ich an John Stepper gedacht. Kurzes Innehalten: Warum netzwerke ich?
Ich will
a.) die Leute in mein Netzwerk bekommen, die ich auf ihrem Weg weiterbringen kann und
b.) jene, die mich selbst in meinen Themen weiterbringen können. Im Grunde also alle, die mir helfen, im Sinne einer größeren Idee besser zu werden.
Diese größere Idee, die ich habe, hat mit der Entwicklung des Mindsets zu tun. Für eine bessere Gesellschaft, für nachhaltigeres Handeln. Was am Anfang meiner unternehmerischen Tätigkeit auf Karriere und Führung beschränkt war, ist nach und nach größer geworden, aus einem Quadrat ist erst ein Würfel und inzwischen ein Tesseract geworden, ein Hyperwürfel. Das ist seit einiger Zeit mein persönliches Symbol für Entwicklung.
Stepper hat mir geholfen, diesen Netzwerk-Gedanken noch mal neu zu sortieren.
Verhalten Sie sich auch im Internet nach den Prinzipien von Dale Carnegie
Stepper, ehemals tätig bei der Deutschen Bank in den USA, spricht davon, man solle sich Working out loud vorstellen, als würde Dale Carnegie auf das Internet treffen. Carnegie hat mit „Wie man Freunde gewinnt“ ein zeitloses Buch verfasst, das eine Art Bibel für “People Manager” ist. Working out loud hat seinen humanistischen Touch, es lebt seine menschliche Kernbotschaft, die von Vertrauen, Goodwill und Gegenseitigkeit.
Meine Assoziationen sind noch andere: Für mich ist Working out loud eine Fortschreibung der Counselor-Bewegung der 1970er bis 1990er, also auch ein Upgrade des humanistischen Denkens eines Abraham Maslows oder Carl Rogers, das von Barbara Sher und Richard Nelson Bolles aufgriffen und teilweise mit christlichen Gedanken verwoben wurde. Es geht darum, dass jeder glücklich sein soll, von innen heraus motiviert, seine Stärken entfalten kann. Auch die positive Psychologie lässt grüßen.
Sehen Sie Lebenssinn-Entwicklung und nicht mehr Karriereplanung
Life/Work-Planning (LWP) nennt sich das von Bolles entwickelte System, das seit Jahrzehnten von Karrierecoachs vermittelt wird, aber in die Jahre gekommen heute so wenig zeitgemäß ist wie Akquise mit Telefon und E-Mail. Stepper führt LWP in das Internet-Zeitalter: Glaub an dich, lerne, nutze das Wissen der anderen – das ist auch seine Kernbotschaft. Wie LWP ist auch WOL eine Methode zur Lebens-, Persönlichkeits- und Karriereentwicklung – beides lässt sich kaum trennen, wenn Beruf auch Leidenschaft ist. Anders als LWP fusst WOL aber auf der Grundannahme, dass die Dinge nicht mehr planbar sind – es geht immer um kleine Schritte, Experimente, Ausprobieren.
Eine Grundannahme, die beide Methoden teilen: Wer nach selbstbestimmter Arbeit und Sinn sucht, kann Karriere nicht mehr nur im Außen finden. Er sucht sie in sich selbst. Die seelische Leere mancher Karrieristen liegt hier begründet. Wer beginnt innere Hohlheit zu spüren und seinen eigenen Lebensentwurf zu hinterfragen, löst sich automatisch auch vom Außen. Die Suche nach dem inneren Kern beginnt dann und dauert manchmal lange. Für Karrierecoachs war das schon immer der Haupteinsatzbereich, der allzu oft nah an psychologischen Themen liegt, denn Karriereentwicklung in diesem Sinne ist immer auch Selbstentwicklung.
Schauen Sie in den Spiegel gesellschaftlicher Werteentwicklung
Auf den ersten Blick steckt nicht wirklich Neues in dem Konzept des Working out loud, außer dass nun auch das Internet dazukommt. Auf den zweiten ist interessant, wie es die gesellschaftlichen Werte fortschreibt und Trends abbildet. Es spiegelt orange-grün-gelbes Denken, wenn man in den Spiral Dynamics-Farben denkt. Der Schwerpunkt ist grün: Verbindung mit anderen, Teilen, bei sich sein. Orange ist das Thema Leistung und Zielerreichung. Gelb schimmert der Gedanke des Aufbaus von Expertise und das growth mindset hindurch. Das Framework verbindet die allgegenwärtigen Pole „Ich“ und „Wir“ im Sowohl als auch. Es geht um das Streben und die Ziele Einzelner (Ich), aber auch um den Verbund der Interessengemeinschaft im Circle (Wir). Life/Work-Planning ist noch mehr in einer individualistischen Interpretation orangen Denkens verankert. Das Wir dient in LWP mehr der Orientierung, es ist noch keine Gegenseitigkeit, noch kein Verschmelzen.
Wer von den Farben verwirrt ist, hier gibt es mehr Infos.
Entwickeln Sie ein growth mindset
Das Framework von Stepper enthält fünf Elemente:
- Purposeful Discovery
- Building Relationships
- Leading with Generosity
- Making you and your work visible
- A growth mindset
Natürlich habe ich mich gefreut, hier das „growth mindset“ wiederzufinden, dass auch wichtiger Teil meines Buchs „Das agile Mindset“ ist. Dass Autoren zeitgleich und unabhängig voneinander ähnliche Ideen (wieder) entdecken und für relevant halten, ist faszinierend – und zeigt, dass wir nichts als ein Spiegel gesellschaftlicher Trends sind, denen wir folgen und die wir zugleich schaffen und fortschreiben. Auch er integriert neurobiologisches Grundwissen: Sechs Wochen braucht man, um etwas zur Gewohnheit zu machen (making it a habit). Kleine Schritte sind hilfreich. Die Gruppe wirkt unterstützend. Im Grunde liefert er auch ein Selbstentwicklungsprogramm. Meine Angst ist, dass es wie Theorie U und andere auf Emergenz ausgerichtete Ansätze, zu straff und methodisch interpretiert wird. Dass wieder einmal Methode Mindset frisst.
Wie viel “Framework” Menschen brauchen, hängt stark von ihrer eigenen Entwicklung und Selbststeuerungsfähigkeit ab. Wer im Internet Reputation aufgebaut hat, hat oft bereits automatisch „working out loud“ betrieben, Inhalte geteilt, den eigenen Fortschritt offen gestaltet, sich mit Menschen verbunden, die ihn oder sie weitergebracht haben. Das betrifft aber nur wenige Vorreiter, die meist beflügelt durch überdurchschnittliche Neugier anderen immer einen kleinen Schritt voraus sein. An dem, was sich in kleinen Teilen abbildet, lässt sich meist gut erkennen, was im Großen kommt. Werte entwickeln sich langsam. Der Wert des “Wir” hat sich in den letzten Jahren fast unmerklich transformiert.
Ich will das einmal an der Arbeit mit Klienten dokumentieren:
Wie sich der Blick auf die anderen (weiter) entwickelte
- Ich bin für andere nur etwas wert, wenn ich einen Job habe. 2001 habe ich manch Fach- oder Führungskraft mühsam und über Monate davon überzeugt, eine Liste mit Kontakten zu erstellen, die sie kontaktieren sollten, um ein informelles Gespräch zu verabreden. Oft ist es mir das nicht gelungen, denn der Glaubenssatz „das kann man doch nicht tun“ war tief verankert. Was damals am meisten hinderte: Der Gedanke, “ich habe doch nichts zu bieten”. Ich bin doch nur was, wenn ich einen Job habe. Einfach so über seine Arbeit sprechen und sogar die eigene Entwicklung und einen fehlenden Plan reflektieren – undenkbar. Viele Männer sprachen in dieser Zeit aus Scham nicht über den Jobverlust. Heute ist das viel, viel selbstverständlicher, fast normal.
- Ich will nicht mit etwas Unfertigem gesehen werden. 2006 habe ich die Chancen des Internets in meine Beratung immer mehr mit einbezogen; ein „ordentlicher“ Online-Auftritt war da schon wichtig, Backgroundchecks wurden üblich. Manch einer dachte, mit einer „Bewerbungshomepage“ punkten zu können, ich habe das nie geglaubt, das war mir zu statisch. Doch Nach-Außen-Treten und Sichtbarwerden war für viele unglaublich schwer. Führungskräfte hielten ein solches Schaulaufen nur angemessen für eine untere Ebene und „Marketingleute“. Was damals am meisten hinderte: Einfach etwas Unfertiges publizieren und dann daran zu arbeiten, es besser zu machen. Das war für die meisten jenseits der Vorstellungskraft. Das ist ein bisschen selbstverständlicher geworden. Der deutsche Perfektionismus hindert aber immer noch viele am Ausprobieren.
- Ich will durch meine Aktivität direkten Nutzen. 2010 merkte ich wie immer mehr Menschen in meinem Umfeld durch das Internet ganz neue Berufsprofile ausbildeten und mit digitaler Hilfe das Fach wechseln konnten. Viele arbeiten hart und über Jahre daran. Den Trend stellten immer mehr Menschen fest, die auch daran teilhaben wollte. Doch viele kamen über Lippenbekenntnisse nicht hinaus. Was damals am meisten hinderte: Diese permanente Arbeit an sich selbst, das reinhängen, dranbleiben, am Anfang keinen Erfolg sehen und trotzdem weitermachen. Für Nicht-Millenials zusätzlich: Die technologischen Hürden. Hier stelle ich fest, dass einige inzwischen regelrecht abgehangen sind und andere mitmischen können. Aber ich merke auch, dass die Erwartungshaltung nicht mehr ist, dass ich mit wenig viel erreiche.
- Ich will nicht einfach nur “senden”. 2015 hatte sich mehr Realismus eingeschlichen. Die meisten Leute hatten Internet-Profile, nur wenige nutzten sie wirklich. Man nahm E-Mail, Xing etc. immer mehr als Spam wahr. Man spürte die Selbstdarstellung einiger und war davon genervt. Es war klargeworden, dass gutes Netzwerken auf Gegenseitigkeit beruhen kann und kein einseitiges Senden sein konnte. Was damals am meisten hinderte: Das Denken, ich kann das in diesem Internet-Meer eh nicht mehr schaffen. Was habe ich schon zu bieten? Mein Gefühl ist, dass jetzt mehr Bereitschaft zur Gegenseitigkeit dazukam und das Teilen von Informationen bei den Millenials schon fast selbstverständlich geworden ist.
Wie sich nun scheinbar gegensätzliche Pole verbinden
2018 schreiben sich diese Entwicklung fort. Viele sind genervt vom Internet. Man sucht mehr Gegenseitigkeit. Ich bin zu Linkedin geflüchtet, weil ich da im Moment noch einigermaßen guten Content finde und mehr Interaktion. Möglicherweise setzt sich nun endlich die Erkenntnis durch, dass es nicht das eine oder andere gibt, sondern alles im Grunde auf einer Verzahnung und Sowohl-als-Auch beruht. Wenn dieses Denken mehr ins Bewusstsein rückt, kommen wir dem Hyperwürfel der Entwicklung näher:
- Selbstwahrnehmung: Was nehme ich in mir wahr, auch an Widersprüchen? Was höre und fühle ich? Je mehr ich mich als Prozess begreife, desto lockerer kann ich damit umgehen, im Moment eben keine Lösung zu haben. Desto mehr kann ich ausprobieren, teilen und meine eigene Unvollkommenheit als normalen Zustand der Vollkommenheit im Jetzt begreifen. Das ist Mindset, das ist Persönlichkeitsentwicklung.
- Fremdwahrnehmung: Was nehme ich von den anderen wahr? Wie kann ich ganz auf ihre Seite gehen und dennoch bei mir bleiben? Auch das ist Mindset – und nur möglich, wenn aus Selbstwahrnehmung ein fluider Prozess der permanenten Selbstaktualisierung geworden ist.
Mit weitem Blick erhalten Sie mehr Möglichkeiten
Das Konzept von John Stepper kann dazu beitragen, einen Fokus zu bekommen, obwohl man weiter denken lernt. Die konkreten Fragen weiten den Blick. Sie trainieren das Mindset. Menschen, die Unterstützung in ihrer Selbstführung brauchen, hilft das Konzept Stück für Stück „PS“ auf die Straße zu bringen. Wer das im Augenblick nicht braucht, findet gute Impulse und Ideen. Der hohe Konkretisierungsgrad ist eine Hilfe für alle, aus denen die guten Ideen nicht sofort sprudeln. Es ist weiterhin eine Kommunikationsübung. Stepper wird sehr konkret, bis hin zur Formulierung von Anschreiben, die sich auf das Gegenüber konzentrieren und dessen Nutzen fokussieren.
Zwischen Lauflerngestell fürs Denken und Handeln und guten Impulsen
Ich schwankte beim Lesen in meiner Wahrnehmung zwischen „Lauflernhilfe“ und „toll, sehr praktisch“. Tipps mit der Überschrift „Das können Sie in weniger als 5 Minuten tun“ sind einfach schon durch die Art der Formulierung motivierend. Und sie leisten auch psychologisch sinnvolle Dienste: Schnelle Erfolge erhöhen die Wahrscheinlichkeit dranzubleiben.
Working out loud kann man als Framework bezeichnen. Es ist ein offener Rahmen, der die Selbstorganisation einer Gruppe – hier Circle – ermöglicht. Diese Strukturiertheit bringt Working out loud in der Verdacht „agil“ zu sein, was es natürlich auf der einen Seite nicht ist und dann doch wieder – wenn agil einfach nur mit beweglich übersetzt wird. Wir geben den Dingen eben die Bedeutung, die wir ihnen geben wollen. Für mich ist WOL auch eine Hilfe für die Persönlichkeits- und Karriereentwicklung. Es fördert den Blick über den Tellerrand und erweitert damit wirklich eigene Möglichkeiten.
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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Hallo Frau Hofert und frohe Ostern!
Ihre Texte sind einfach einzigartig. Es ist keine Übertreibung wenn ich schreibe, dass Sie die tiefgründigsten und qualitativsten Texte im Bereich Karriere und Persönlichkeitsentwicklung im deutschen Raum haben.
Und ich lese regelmäßig nicht wenige Blogs.
Viele Grüße
Sladjan Lazic
ganz lieben Dank, Herr Lazio!