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Zu viel Coaching, das gar nichts bringt? Replik auf „wir coachen uns zu Tode“

Coachen wir uns zu Tode? Werden nur Berater beraten? Eine kleine Kolumne in der WELT wirbelt im Netz gerade mächtig. Ich hab den Text zufällig gefunden, gelacht und unbedarft bei Facebook eingestellt. Gleich ging die Kritik los: das sei doch wohl nicht lustig. Ich lese noch mal, denke „ist das so böse?“ – und verstehe, dass man geteilter Meinung sein kann. Für mich war´s wie ein guter Comic, nicht tiefsinnig. Überzeichnet und nicht sauber getrennt zwischen den Disziplinen Coach, Berater, Trainer, aber da sehe ich drüber hinweg. Für andere ist es eine unqualifizierte, ärgerliche Attacke. Geteilt wurde der Beitrag trotzdem bisher über 2000x bei Facebook…. Aber ich sitze auch im Glashaus. Deshalb mal zum Ernst und Kern der Sache.
Beim Lesen denkt man: Ja, kenne ich. Das mit den Frauen, die “Coach” sind oder sein wollen und „Partner zahlt“. Das ist kein Klischee, ich habe das oft aus nächster Nähe betrachtet. Wenn ich mich mit erfahrenen Kollegen unterhalte, so wissen diese auch sofort, wovon die Rede ist. Die Frauen, die sagen „ich will kein Geld“ und die die ernsthaft meinen „40 EUR pro Stunde reicht mir“ (weil das Familieneinkommen sichergestellt sind und sie nicht so viel verdienen müssten).
Denen gegenüber sind wir, die von Beratung oder Coaching leben, schon etwas hochnäsig. Und wenn wir dann noch sehen, dass schwarz kassiert wird und die Professionalität auch sonst auf Sandkastenniveau ist, fangen wir uns an fremdzuschämen. Wenn wir erfahren, dass Sekretärinnen Coach werden, die noch “ganz Mädchen” sind und denen Standing und Souveränität fehlt, ja, da rümpft man entweder die Nase, rauft sich die Haare oder fängt an zu heulen. Oder flüchtet wie ich – von Veranstaltungen (ich gehe nicht mehr mit Namensetikett los), auf denen mir lauter Coachs ihre Visitenkarten zustecken, die alle…. Hilfe (!), Bücher schreiben wollen.
„Bitte schreiben Sie bloß nicht Coach“, briefe ich bei Interviews meine Gesprächspartnermanchmal. Machen die trotzdem. Auch das Buchschreiben ist mir schon peinlich geworden, was da publiziert wird, ist eben oft auch zum Fremdschämen.
Dass vor allem Männer in dem Gewerbe erfolgreich im Sinne von umsatzstark sind, wie Glaubitz schreibt, ist mir ebenso wenig neu. Und dass die Coachingausbilder-Branche lange Zeit gut an den Träumen potenzieller Coachs verdient hat – weitläufig bekannt. Mir scheinen die Ausbilder gerade umzudenken und daran zu arbeiten, die Führungskraft als Coach zu definieren. Man muss ja sehen, wie man seine Brötchen verdient…
Nach diesen grundsätzlichen Gedanken möchte ich mir die Thesen stückweise vornehmen. Obwohl Uta Glaubitz, Coachs, Berater und Trainer in einen Topf wirft, beziehe ich mich im Folgenden auf Coachs und meine die, die in den letzten Jahren eine Coachingausbildung absolviert haben, mit dem Ziel, sich mit Coaching selbstständig zu machen. Der von ihr zitierte Jürgen Höller ist in diesem Sinn ganz sicher kein Coach. Und Training ist auch was ganz anderes als Coaching. Deshalb sei das hier mal ausgeklammert.
Stimmt die Studie der Stiftung Warentest?
Oh Gott, was bilden die sich ein: Sie wollen Abhilfe schaffen mit ihrem Leitfaden, da der Beruf Coach ja nicht geschützt sei. Testet Kosmetik und Fahrräder, aber versucht es nicht mit komplexen Dienstleistungen, das kann nur in die Hose gehen! Zumal: Coach ist kein Beruf und was Coaching ist wird nach wie vor sehr unterschiedlich interpretiert. Mit Studien ist es wie immer: Sie werden gemacht und gestützt von jemand, der an der “Erforschung” und bestimmten Ergebnissen ein essentielles Interesse hat. Zu nennen wären Coachingverbände. Und alle die, die Weiterbildungen anbieten. Diese Verbände bestehen nicht, weil irgendjemand sie aus Nächstenliebe gegründet hat.
Beraten Berater vor allem sich selbst?
Am Anfang oft, ja. Denn Kunden gewinnt man nicht, indem man “Business Coaching” anbietet, oder gar “systemisches Coaching” – also berät man erst einmal untereinander. „Das sagt einem ja keiner“, erzählt mir eine Kollegin mit Coachingausbildung, die erkennen musste, dass es nicht möglich ist, mit „Business Coaching“ – und noch weniger mit „Life Coaching“ – eine Existenz aufzubauen, die keine Kümmerexistenz ist. Die Ausbilder haben ein Interesse, das Thema Selbstständigkeit und Wirtschaftlichkeit auszuklammern. Das ist der wahre Kern dieser These. Wenn Sie mich fragen, also als Beraterin: Ich berate auch Berater. Unternehmensberater, SAP-Berater etc. Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft. Da ist Beratung nun mal ein riesiges Feld. Aber Glaubitz meinte das anders. In ihrem Sinn stimmt die Aussage für Neucoachs durchaus.
Gibt es keinen Beweis für Erfolg von Coaching?
Danke, Nico Rose, es gibt neuere Studien und Metaanalysen, siehe hier. Allerdings wird gesagt, dass solche Studien oft von Praktikern kämen, und das macht es schwer mit der Wissenschaftlichkeit. Im Artikel wird nach denen gibt es keinen Beleg. Ich stelle es mir sehr schwierig vor, Erfolge oder Wirksamkeit messbar zu machen, denn dafür müsste man ja definieren, was ein Erfolg ist und was Wirksamkeit. Mitunter ist aber auch keine Veränderung wirksam. Oder das Coaching hat etwas ausgelöst, was sich auch so ergeben hätte.
Evaluieren lässt sich, ob ein Coaching jemand “gefallen” oder “gefühlt genutzt” hat, aber nie wird man erfahren, ob es ohne Coaching nicht besser geworden wäre. Vielleicht hätte man sich ohne Coaching-Intervention von der Firma getrennt und umgekehrt, dort super Chancen bekommen. Das ist bei Themen wie Outplacement und Bewerbungsstrategie übrigens anders, das kann man controllen. Ist aber auch kein Coaching.
Deutet es auf Professionalität, wenn jemand länger am Markt ist?
Sicher ja. Niemand hält sich 10, 15, 20 Jahre, wenn er keinen Mehrwert bietet. Das heißt nicht, dass alte Hasen besser und neue schlechter sein müssen. Doch die Fähigkeit, sich mehr als drei, besser fünf Jahre zu halten (gesetzt der Fall, es gibt keinen Ehepartner, der durchfüttert), sagt etwas aus. Und die Vita davor: Hat dieser Coach schon mal richtig gearbeitet? So angestellt mit allem drum und dran? Wenn nicht, wäre ich persönlich immer misstrauisch, wobei in bestimmten Bereichen Arbeitserfahrung nicht notwendig ist (etwa im therapienahen Bereich). Im Karrierecoaching aber auf jeden Fall.
Ich rate grundsätzlich, sich nur Dienstleister zu suchen, die mindestens drei Jahre “geschafft” haben, bei Coachs erhöhe ich auf fünf. Aus der einfachen Erfahrung: Die meisten sind nach zwei bis drei Jahren wieder vom Markt, mit größeren Abfindungen kann man es auch länger mehr schlecht als recht schaffen. Bei Dienstleistern mit mehr als 5 Jahren im Geschäft kann man mit professioneller Auftragsklärung, Rechnungstellung und generell einer erprobten, da im Laufe der Zeit optimierten Vorgehensweise rechnen.Bei Neulingen (und oft auch Nebenberuflern) muss man immer wieder damit rechnen, das sie plötzlich abtauchen, Termine verschwitzen, nicht halten, was sie versprechen etc. Das gilt für Grafiker, Webdesigner, Texter und im Grunde jeden, der etwas auf dem freien Markt anbietet.
Haben es viele Coachs nicht weit gebracht?
Viele Coachs hätten es zuvor nicht weit gebracht, behauptet der Artikel. Das ist jetzt eine der heikelsten Aussagen. Was ist weit gebracht? Ich würde das anders ausdrücken. Viele Coachs sind nicht reif. Sie sind unsicher und noch mitten in der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Und sie haben nicht ausreichend spezifische Berufserfahrung und Netzwerke. Das gilt weniger für Männer, die meist starten erst, wenn sie auf genügend gute Kontakte zurückgreifen können und generell größer denken (das fängt damit an, dass sie selbstverständlich erst mal auf Training und Firmenkunden setzen).
Warum ist das so? Meine These: Frauen gründen öfter aus einem Bindungsmotiv denn aus dem Motiv Macht und/oder Leistung. Das heißt, Frauen motiviert es, wenn sie anderen helfen können und jemand sagt, das hat ihm/ihr gut getan. Nur reicht das eben nicht für unternehmerischen Erfolg. Dazu verweise ich auf meinen Artikel über die Gründe des Misserfolgs von Gründung.
Über mich
Bereits seit 1998 schreibe ich Karriereratgeber, seit dem Jahr 2000 betreibe ich “Karriere & Entwicklung” für Outplacement und Karrierecoaching. 2004 gründete ich meinen ersten Online-Shop, aus dem 2012 Kexpa wurde, 2011 mein Portal Karriereexperten.com. In diesem Jahr kam die Karriereexpertenakademie dazu: verschiedene Weiterbildungen zur Professionalisierung der Methoden und Vorgehensweisen im Karrierecoaching.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Es gibt mittlerweile Meta-Analysen zur Wirksamkeit von Coaching, das heißt, aggregierte Auswertungen über viele Studien hinweg. Die zeichnen ein durchaus positives Bild, das ist nur noch nicht auf Wikipedia angekommen, z.B.:
http://bit.ly/1kO2hfx
super, danke für den Hinweis. Habe es eingebaut und Sie exklusiv erwähnt. Anscheinend gibt es auch ein Forschungsvorhaben in Österreich, LG Svenja Hofert
Es gibt sie die Coachingausbildungen, die darauf aufmerksam machen, dass man nicht NUR vom Coaching leben kann. Ich hab es erlebt. Wir haben explizit über Marketing, Preise und Lebensunterhalt gesprochen. Das war für den einen oder anderen sehr desillusionierend aber hilfreich, da wir ja auch mit Idealismus in die Ausbildung gegangen sind.
Ein wichtiges Zulassungskriterium war auch, dass man als Führungskraft gearbeitet hat und eine gewisse Altersuntergrenze, was ich ebenfalls für sinnvoll halte. Coach hat doch ganz viel mit Lebens-, Berufs- und Eigenerfahrung zu tun, um reflektierend unterstützen zu können, das kann ein 25-jähriger einfach noch nicht haben.
LG Silke
Ja, es gibt sie. Und hier trennt sich auch die Spreu vom Weizen. Zu beobachten ist, dass die Qualität sinkt – First Mover sind meist innovativer und bemühter – und die First Mover-Welle ist lange vorbei. So ziehen derzeit Leute in die Ausbildung, die Kompromisse sind, auch für die Ausbilder. Denn am Ende brauchen sie Geld. Und nur die ganz, ganz Guten stellen Qualität darüber und riskieren, einen Lehrgang lieber nicht voll zu kriegen.
Wenn jemand 29jährige ohne akademischen Abschluss und Führungserfahrung aufnimmt, ist Misstrauen angesagt. Wobei es auch die geben werden, die sagen: auch die Nichtakademiker brauchen ihre Coachs und was ist Führung (so hat ein Projektleiter keine direkte Führungserfahrung, mitunter aber wertvolle Kompetenzen darin, Zusammenarbeit zu organisieren…) Zudem verliert das Studium derzeit auch massiv an Wert, weil immer mehr studieren. All das macht das Aufstellen von Kriterien schwer. LG Svenja
Na, da bin ich ja froh, dass ich damals einen ganzen Ausbildungsblock zum Thema hatte. Mich hat das damals sehr frustriert; ich weiß noch genau, wie unzufrieden ich war, angeblich nicht vom Coaching allein leben zu können.
Naja, und so kam damals auch die Personalberatung mit in mein Portfolio, was im ersten Jahr der Selbstständigkeit auch ganz hilfreich war. Die ist inzwischen aber nicht mehr drin, was mich sehr freut. Nur noch im Namen (und der Relaunch ist für 2015 geplant).
Ach so, den Bericht von Frau Glaubitz fand ich einfach nur platt, doof und abfällig. Alles das, was ein Coach (meiner Meinung nach) nicht sein sollte. Ihre Bücher und Workshops werden auch auf Amazon auch ganz gut zerpflückt…
Aber die anschließende Auseinandersetzung damit finde ich hochspannend. Also war er doch zu etwas gut ;o)
LG Sabine
Hallo Sabine, danke für deine Ergänzung. Ich würde das nicht ganz so sehen – man muss halt zuspitzen, bei einem braven Text wäre die Diskussion gar nicht entstanden 😉 LG Svenja