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Der Karriere-Bias: Denkfehler, verzerrte Wahrnehmungen und Selbsttäuschungen

Veröffentlicht: 28. November 2013Kategorien: Karriere und Beruf, Psychologie

Es gibt unzählige Studien und Umfrageergebnisse, etwa zum Thema “Zufriedenheit im Job”. Letzte Woche postete ich eine Umfrage von Monster, die Deutschen eine eher geringe Zufriedenheit attestierte. Aber da war doch diese Umfrage in der “Welt” neulich, die genau das Gegenteil belegte, wandte eine Leserin ein. Mich wundert das nicht. Zu jeder Studie gibt es eine, die genau das Gegenteil besagt, oft entscheidet die Fragestellung. Warum aber wähle ICH diese aus? Weil die Monster-Studie das bestätigt, was ich erlebe. Natürlich gehe ich damit auch einem Psychomuster auf den Leim: der Selbstbestätigungstendenz. Das ist nur eine von vielen Heuristiken, die mir und Ihnen das Leben leichter machen, weil sie uns einen Teil des Denkens abnehmen – aber uns manchmal auch in die Irre führen.

Weitere Beispiele, bezogen auf Karriere:

Verfügbarkeitsheuristik

Diese besagt, dass wir etwas als häufiger vorkommend annehmen, weil wir es ständig sehen und lesen. Beispiel: Da wir ständig von „Coachs“ lesen und Menschen, die sich mit so etwas selbstständig gemacht haben, denken wir,  jeder könne das.  Weil andere erfolgreich damit sind, die “normal” scheinen – wie zum Beispiel offensichtlich auch meine Wenigkeit -, denkt man “muss doch auch bei mir klappen”.

Anderes: Weil uns die Generation Y mit ihren Attitüden in den Medien so oft über den Weg läuft, nehmen wir an, jeder unter 30jährige würde solche Ansprüche stellen. Das ist nicht so. Die Medien zeigen gern das, was neu und ungewöhnlich ist, nicht das, was repräsentativ ist.

Was wirklich stimmt: Hinter dem, was wir sehen, steckt oft  mehr und anderes als wir sehen. Medien schreiben über Themen, die gelesen werden. Dass jemand eine Stelle als Sachbearbeiter bekommen hat, interessiert nicht. Aber sehr wohl, dass eine Frau ein tolles Unternehmen gegründet und ihren Traum realisiert hat (dass diese eine Frau Seltenheitswert hat, gar keine guten Umsätze macht oder in einem Jahr pleite ist, wird ausgeblendet). Medial uninteressant sind auch tausende Vorstellungsgespräche, in denen unter 30jährige nichts fordern, sondern still hoffen, den Job zu bekommen – die Sache mit der Work-Life-Balance ist ihnen dann egal, weil sie endlich in den Job kommen wollen…

Überzeugungsbias (belief bias)

Denken Sie an mein Beispiel mit den Studien im Vorspann: Studien sind probate Mittel für unsere Selbstbestätigungstendenz. Wir nehmen gern die, die am besten mit unseren Überzeugungen korreliert – und die zahlreichen Herausgeber sind so freundlich uns zu allem möglichen passendes Zahlenmaterial zu liefern (Tipp: Wenn Sie ernsthafte Studien suchen, dann nie bei jemand, der diese kommerziell nutzt oder der Profit oder PR-Effekt daraus zieht). In der Karriere ist der Überzeugungsbias dann eine böse Falle, wenn wir auf Überzeugungen beharren wie „Personaler bevorzugen das haptische Erlebnis von Papier“ oder „Fotos müssen ein Porträtformat“ haben. Social Media-Affine glauben gern, dass man über Twitter und Co. Jobs findet – und natürlich gibt es entsprechende Studien. Wer Testverfahren wie MBTI oder Reiss Profile einsetzt, ist meist überzeugt, dass seine “wissenschaftlich” sind – Selbstbestätigungstendenz UND Überzeugungsbias. Natürlich steht das auch überall drauf: objektiv, valide und reliabel. Aber solche Kriterien haben enorme Dehnungsstreifen. Im Grunde kann sie nur jemand beurteilen, der tiefere statistische Kenntnisse hat. Haben aber die meisten nicht. Und auch dafür, dass man die (Statistikkenntnisse) nicht braucht, wird man ausreichend Argumente finden… Wie für alles andere auch.

Hindsight Bias

Diesem  Bias unterliege ich auch öfter: Ob Aktienanlage oder konjunkturelle Entwicklung: Ich bilde mir ein, es immer schon gewusst zu haben – z.B. dass man 1999 Amazonaktien hätte kaufen sollen (ich behaupte gern – und bin in diesen Moment auch ehrlich überzeugt -, dass ich damals schon gesagt hätte, dass Bezos Konzept “logisch” ist, wohingegen ich die Goldminen-Anlagen meines Partners früh im Verdacht hatte, Fakes zu sein). Dass ich konjunkturelle Entwicklungen schon mal gesehen habe, kann man in einem Videointerview mit mir von der Internet World 2006 sehen… aber ehrlich: vielleicht war es Zufall. Immerhin beträgt der bei solchen Sachen 1:1.

Meist jedenfalls ist ein Immer-schon-Gewusst kritisch zu sehen. Beispielsweise, wenn man als Angestellte in einem Unternehmen sitzt und “schon gewusst hat”, dass man verkauft oder umstrukturiert wird oder aufgrund eines Kulturumschwungs seine Felle verliert (aber nicht entsprechend agiert…na? klickert´s?).

Beharrung auf Überzeugungen (belief perserverance)

Das höre ich manchmal von Personalberatern, die z.B. auf Ihrer Überzeugung beharren, dass jemand der in der Werbeagentur Job A hatte nun nur noch für Job B in Frage komme oder dass man als Senior nicht mehr anders kann als aufzusteigen.  Eine andere Variante ist, wenn vermeintliche Experten sagen, das man auf jeden Fall X machen müsse, um Y zu erreichen und daran auch wirklich glauben. Ist natürlich ein bisschen wahr, aber wie alles: nicht nur. Alle, die zu ungewöhnlichen neuen Positionen gekommen sind, haben sich an diese Dinge eher nicht gehalten.

Systematische Selbstüberschätzung (overconfidence bias)

Dieser Bias ist für uns alle typisch: Wir überschätzen regelmäßig unsere jetzige und künftige Leistung. „Ich kann das“ und „ich mach das“ ist schnell gesagt – aber getan nicht unbedingt. Auch die eigene Kompetenz wird systematisch falsch eingeschätzt. 90% behaupten auch u.a. sensitiv und humorvoll zu sein (Umfrage unter Studenten, Quelle “Persönlichkeitspsychologie” von Aspendorpf), aber natürlich sind es wirklich nur ein Bruchteil. “Wahrsager verdienen mit diese Dingen viel Geld”, schreibt der Autor. Und hat sicher recht.

Repräsentationsheuristik

Wir bewerten die Wahrscheinlichkeit, das etwas stimmt, danach, ob es Prototypen entspricht. Stellen Sie sich zwei Personen vor, die sich um eine Managementposition bewerben:

  • eine kleine, zierliche Frau, 1,58 Meter groß, stimmlich etwas fistelnd,
  • ein großer Mann, 1,90 groß, mit tiefer Stimme.

Trauen wir der Fistelfrau eine Führungsposition in einer männerdominierten Umgebung zu? Eher nicht. Das meine ich. Wir werden als Personaler alle möglichen anderen Gründe finden, die Absage zu rechtfertigen (vor allem auch vor uns selbst), aber die Tatsache bleibt: rein emotionale Entscheidungen, auch deshalb bin ich so ein Test-Fan.

Anderes Beispiel: Der große Mann bewirbt sich um eine Stelle als Sachbearbeiter Innendienst. Er sieht sehr gut aus und hat ein strahlendes Lächeln. Hat er eine Chance auf den Job? Hat er nicht – zu “low” für sein Äußeres.

Mensch, wie war das noch mit der Vernunft? Mir fällt Kahnemann an: an der Stelle kann ich nur eins empfehlen: Wenn und wann immer möglich nutzen Sie Ihr System 1. Das verbraucht mehr Kalorien und schützt vor allzu viel Vereinfachung.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

7 Kommentare

  1. Marc Mertens 29. November 2013 at 11:18 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    es klingt natürlich sehr platt, wenn ich das hier so formuliere, aber der Artikel gefällt mir einfach. Also noch kurz ein Kompliment hinterher, dass ich diese Art Blogartikel zu meinen Favoriten zählen möchte. Vor allem gibt es einem auch Denkanstösse und Anregungen mit an die Hand.

    Werde diesen hier gerne weiterempfehlen im Sinne des Networking und wünsche ein schönes Wochenende.

    • Svenja Hofert 30. November 2013 at 14:01 - Antworten

      klingt nicht platt, irgendwie natürlich und auch ehrlich gemeint. Danke. LG Svenja Hofert

  2. Peter Reitz 1. Dezember 2013 at 23:00 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    ein schöner Artikel zum Thema. Sie schreiben es schön: Heuristiken helfen uns, das Denken leichter zu machen und ich ergänze noch: Komplexität (z.B. von Informationen) zu reduzieren. Manche Menschen tun ganz eigenartige Dinge, z.B. unterhalten sich mit sich selbst oder mit fiktiven anderen, oder schätzen eine Leistung viel positiver ein, wie vielleicht andere dies tun würden. Gewissermaßen täuschen diese sich selbst aus einem Grund: es ist ihnen hilfreich und nützlich und vielleicht sogar eine echte Ressource.

    Herzliche Grüße, peter reitz

  3. Karl Stieler 3. Dezember 2013 at 8:41 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,
    hat mir sehr gut gefallen und regt mich zum nachdenken an. Ich werde mehr von Ihnen lesen …
    🙂
    Ich wünsche Ihnen (und damit mir 🙂 Kreativität und angenehme Tage.
    Karl Stieler

  4. Knut Trepte 10. Dezember 2013 at 4:44 - Antworten

    War es nicht das System II?

  5. Katrin Scheibe 15. September 2014 at 12:33 - Antworten

    Hallo Frau Hofert,

    Kurt Trepte hatte schon Ende 2013 angemerkt, ob es nicht das “System 1” sei, dass Sie empfehlen.

    Ich hebe es auch so verstanden!?

    Schöne Grüße für einen rundum erfolgreichen Tag sendet Ihnen
    Katrin Scheibe

    • Katrin Scheibe 15. September 2014 at 12:35 - Antworten

      P.S.: Sorry – Knut Trepte 😉

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