Starten wir heute einmal mit einer kleinen Denksportaufgabe: Ein Kollege von Ihnen erfährt, dass in dem Unternehmen, in dem er sich bewirbt, der eine Mitarbeiter 40.000 Euro verdient und der andere für dieselbe Arbeit 80.000. Beide sind etwa gleich alt und verfügen über exakt dieselben Qualifikationen und Erfahrungen. Der Kollege bittet Sie um Rat, mit welchem Gehalt er in die Verhandlung einsteigen sollte. Welche Gehaltsvorstellung sollte er Ihrer Meinung nach nennen?

Wahrscheinlich haben Sie jetzt gedacht: etwas in der Mitte. Falsch! Ich würde ihm raten: Beginnen Sie bei 90.000 Euro, das ist aus taktischen Gründen der bessere Wert. Der Effekt, den ich hier darstelle, nennt sich Ankereffekt. Wir nutzen vorhandene Informationen als Anker, an denen wir uns orientieren. Das betrifft die Höhe von Gebäuden, Jahreszahlen, Alter etc. Sogar wenn wir im Roulette eine “vier” gesehen hat, wirkt diese Zahl nach. Sollten wir danach Bonbons kaufen gehen, werden es vermutlich um die vier sein, höchstwahrscheinlich jedoch keine 40…

Anker machen sich auch in den Jahresverhandlungen bemerkbar. Wenn Lina weiß, dass der Kollege Lars 10% mehr verlangt und bekommen hat, wird sie ihren eigenen Anker bei der Gehaltsverhandlung gleich oder höher ansetzen. Wenn sie aber erfahren hat, dass bei 2% vom Chef schon „zu viel“ signalisiert worden ist, wird sie entsprechend vorsichtiger herangehen und bescheidenere Vorstellungen äußern. In der Situation oben ist es genauso und es kommt noch etwas dazu: der Marketingeffekt der hohen Gehaltsforderung. Was teuer ist, wird automatisch als besser eingeschätzt. Der Geschäftsführer wiederum weiß, dass er unterschiedliche Gehälter zahlt, 90.000 werden ihn also nicht überraschen, denn sein Anker sind 80.000 – also nahe dran an den 90.000.

Der Ankereffekt funktioniert in alle Richtungen: Mir sendete eine Freelancerin eine niedrige Honorarvorstellung. Im Grunde hätte ich doppelt so viel bezahlt. Aber da der Anker ja nun gesetzt war, bot ich nur noch etwas mehr an, um mein schlechtes Gewissen etwas zu beruhigen.

Das funktioniert auch in die andere Richtung. Wenn Sie sagen, dass Ihr normales Honorar bei 180 EUR/Stunde liegt, wird Ihnen niemand, der in Verhandlungen mit Ihnen eintreten möchte, 80 abverlangen. Kunden werden sich vielmehr schon über 170 freuen. Also, wenn Sie das nächste Mal um Geld verhandeln, denken Sie daran: Sie setzen den Anker. Im Zweifel lieber etwas höher als zu niedrig.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

4 Kommentare

  1. Ralf Metz 8. Januar 2014 at 9:15 - Antworten

    Liebe Svenja,

    sehr guter Punkt – es gibt Momente, da ist Bescheidenheit eher hinderlich denn förderlich.
    Entscheidend ist für mich dabei immer, dass ich das Lohngefüge ungefähr kenne. Hier in der Schweiz werden gerade in grösseren Konzernen nicht einmal die Gehaltsbänder veröffentlicht. Ich könnte mir vorstellen, dass das von Dir angesprochene Thema auch ein Grund dafür ist.

    Darüber hinaus – ich habe einfach selbst die Erfahrung gemacht, wenn etwas ‘billig’ ist, dann bin ich geneigt eher davon auszugehen, dass da etwas nicht gut dran ist.
    Gute Qualität hat ihren Preis – denke die Kunst hierbei ist es, die Balance zu finden zwischen seinen eigenen Wert zu kennen und dem Markt-Umfeld, ansonsten kann die Gefahr bestehen, dass man als masslos / gierig oder aber auch einfach nur unwissend wahrgenommen wird.

  2. Dr. Vincent Ruland 10. Januar 2014 at 16:38 - Antworten

    Gab es nicht Studien die belegen, man solle mit unrunden Zahlen in die Verhandlungen starten?

    • Svenja Hofert 11. Januar 2014 at 13:44 - Antworten

      ja, das ist ein weiterer Aspekt. Wobei ich nie ein Gehalt von 89.999 nennen würde 😉

  3. […] Und definieren Sie eine Forderung, mit der Sie in Gehaltsverhandlungen einsteigen. Gehen Sie hier im Zweifelsfall lieber etwas zu hoch als etwas zu niedrig. Forderungen zu reduzieren ist in der Regel relativ einfach, solange sie innerhalb des marktüblichen Rahmens liegen. Ursprüngliche Forderungen zu erhöhen ist meist nicht mehr möglich. (Lesen Sie hierzu auch den Artikel von Svenja Hofert “Geschickt um Geld verhandeln: Den Ankereffekt nutzen“.) […]

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