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Mentales Selbstmanagement: Raus aus dem Autopiloten – rein ins neue Leben

Veröffentlicht: 8. Oktober 2016Kategorien: Psychologie

Wissen Sie Frau Hofert, ich weiß alles über mich. Ich weiß im Grunde auch, was ich will. Aber ich mache es nicht. Ich habe fünf Coachings, 15 Testverfahren und sogar Hypnoseverfahren versucht. Nichts hat genützt.

Das ist jetzt etwas übertrieben, aber ich habe nicht selten Kunden, die schon viel gemacht haben und „eigentlich“ sogar wissen, was sie wollen. Es sind begabte Führungskräfte und intelligente Leute, die in Leben und Berufen stecken, die sie nicht mehr wollen. Trotz aller Reflektiertheit kommen sie einfach nicht aus dem Quark. Sie stecken fest.

Natürlich ist das alles eine Sache im Kopf (und auch im Bauch, der ja fast ein Klon des Gehirns ist). Das eigene Feststecken ist immer ein hausgemachtes Problem. Der nächste Coach oder das nächste Coaching kann da sehr helfen. Er kann aber auch wieder und wieder die Bestätigung dafür liefern, dass man selbst ein hoffnungsloser Fall ist. Das ist die Selbstsabotage-Methode der Selbstzweifler. Anderen liefert der nächste Coach oder das nächste Coaching die Bestätigung, dass auch bekannte Coachs, beispielsweise Buchautoren, keine Wunder bewirken. Das ist die Selbstsabotage-Methode der Selbstbetrüger.

dance-1657494_1280Stellen wir uns eine Bühne vor, die Bühne der Ich-Zustände. Die Selbstzweifler sind bildlich gesprochen im Kind-Ich, klammern sich an Mamas Rock und jammern „ich kann das nicht“, während Mama tröstet. Die Selbstbetrüger stagnieren im Eltern- Ich und lamentieren, „das geht doch sowieso nicht“, während Papa mahnt. Beide sind nicht im Erwachsenen-Ich, aus dem heraus sie selbst entscheiden und handeln könnten. Die Arbeit mit Anteilen ist etwas, das wir Coachs aus der Transaktionsanalyse oder dem inneren Team von Schultz von Thun kennen. Für beide und natürlich auch viele andere Leute hat Tom Diesbrock nun ein wunderbares, einfühlsames Buch geschrieben, das ein hübsches grünes Nashorn auf dem Titel hat. Darunter steht „Hören Sie auf, sich im Weg zu stehen“ – und das ist Programm! In diesem Buch geht es um mentales Selbstmanagement, und – auwei – ja, es verspricht keine schnelle Lösung. Keine Wunder! Keinen Erfolg ohne Arbeit! Aber…. echte Hilfe.

Es beginnt mit einigen Selbstoffenbarungen unter der Frage „wer steht bei Ihnen am Steuer?“ Eine davon konnte ich sofort als „meine“ identifizieren:

„Ich fange viel an und bringe nichts zuende. Und was ich tun sollte, tue ich nicht. Ich wäre gern disziplinierter. Ich bin ein Chaot.“

Das ist mein Glaubenssatz. „Die Hofert ist doch total diszipliniert!“ sagen sie vielleicht. Das kann doch nicht sein? Aber ich oute mich hier einmal, denn wie fast jeder habe auch ich irrwitzige Grundannahmen über mich selbst. Ich lese sieben Bücher parallel, schreibe an zwei Manuskripten, drei Trainingskonzepten und fünf Artikeln gleichzeitig. Das ist vielleicht nicht ganz normal – aber ich kam bisher auf diese Weise gut und glücklich durchs Leben. Irgendjemand hat mir zwischendurch eingetrichtert, dass man SMARTE Ziele braucht. Der mahnte dann mit dem Eltern-Ich-Zeigefinger über mich: „Mach das doch nicht so, sondern so!“ Nun, ich habe den Eltern-Ich-Zeigefinger auf die Plätze verjagt, indem ich mich mir das bewusst gemacht und mich positioniert habe.

WSP – Wahrnehmen, stoppen und positionieren.

Genau das ist das Prinzip des mentalen Selbstmanagements: WSP – Wahrnehmen, stoppen und positionieren. Tom Diesbrock kombiniert dabei den Gedanken von System 1 und System 2 nach Daniel Kahnemann mit der Teilearbeit nach der Transaktionsanalyse. Im System 1 sind wir im vermeintlichen Bauchgefühl und lassen uns steuern. Im System 2 denken wir tiefer nach – das ist bei näherer Betrachtung der Zustand des Erwachsenen-Ichs.

Dabei geht es darum, sich bewusst zu machen, wer eigentlich unsere innere Bühne bespielt. Bei genauerer Betrachtung sind das nicht wir selbst als handelndes Subjekt, sondern unsere Gesellschaft, unsere Familien, unsere Bezugsgruppen. Sie haben unser Gehirn mitgestaltet, uns Glaubenssätze eingepflanzt, unsere Autopiloten geformt, die alle auf System 1 wirken. Wir selbst fahren damit in der Annahme auf dem richtigen Weg zu sein. Dabei wird uns von allen Seiten eingeredet, auf dem richtigen Weg zu sein. „Hör auf dein Bauchgefühl“ – ist ein immer noch gern zitierter Satz. Dabei ist dieses Bauchgefühl in Wahrheit oft ein Kopfgefühl. Und es ist fremdgesteuert. Selbstmanagement hat also zum Ziel, dass sie Ihr eigenes Steuer übernehmen, aus dem Autopiloten kommen und als Käpt´n das Steuer übernehmen

Hier ein paar komprimierte Tipps, wie das gelingen kann:

  • Akzeptieren Sie Ihre unterschiedlichen Anteile. „Ich bin nicht eins, sondern beides“, ist ein sehr nützlicher Gedanke aus der Gestalttherapie, den Tom Diesbrock durch die Arbeit mit Anteilen deutlich macht. So wie wir eine alte ODER junge Frau oder Hase ODER Ente im selben Bild sehen – je nach Betrachtungsweise, wollen wir auch selbst auch das eine ODER das andere sein. Doch in Wahrheit sind wir beides. Es gibt verschiedene mentale Zustände: Ich bin in bestimmten Situationen ein Chaot, aber in anderen überaus strukturiert. Das ist keine Fehlfunktion. Das ist normal!
  • Schluss mit den negativen Selbstdiagnosen! Unsere Selbstdiagnosen sind oft viel zu negativ: Wenn wir glauben, undiszipliniert zu sein (oder was auch immer), stehen wir uns damit selbst im Weg. Diesbrock: „Wir rationalisieren, was mit Ratio gar nichts zu tun hat.“ Andere haben unserer Innenwelt Bedeutung gegeben, uns z.B. eingeimpft, was Disziplin ist. Welche Absichten steckten eigentlich dahinter? Identifizieren Sie Absichten, die Sie sie nur daran hindern, selbst Käpt´n zu sein.
  • Weg mit Mitspielern, die nur die Bühne blockieren. Wenn Sie in Ihr Erwachsenen-Ich gehen und die anderen Zustände auf Ihrer Ich-Bühne betrachten: Wo stehen Sie und wo die anderen? Machen Sie sich das beispielsweise mit Moderationskarten bewusst, die Sie auf den Boden legen. Wer steht mit welchen Aussagen wo? Verweisen Sie die hinderlichen Mitspieler auf die Plätze und gehen Sie selbst voran.
  • Vergessen Sie „so bin ich eben“: Je eindeutiger unser Selbstverständnis, desto größer die Gefahr, dass wir Wünsche und Bedürfnisse und Ecken und Kanten unserer Persönlichkeit ignorieren. „So bin ich eben“, kann das Selbstbewusstsein stärken, aber unheimlich hinderlich sein. Das ist übrigens auch die Krux mit den Stärken, wenn diese nicht als dynamisch erkannt werden, sondern zur festen Zuschreibung werden! Tom Diesbrock schreibt: „Wenn wir unser Unvermögen mit Ängsten und Glaubenssätzen umzugehen auf unsere Persönlichkeit schieben, haben wir erstmal Ruhe.“

RZ_Diesbrock_61451-4.inddFazit: „Hören Sie auf, sich selbst im Weg zu stehen“, ist aus meiner Sicht das bisher beste Buch dieses Autors – obwohl oder gerade weil es keinen revolutionären Neuheiten-Charakter hat.  Das Wertvolle ist vielmehr das, was einen wirklich guten Ratgeber auszeichnet: Ein klarer roter Faden und Tiefgang. In diesem Segment gibt es sonst viel Oberflächliches und hingeworfene Billig-Tipps. Dieses Buch taugt als ernstzunehmender Selbstcoaching-Ansatz in seiner Gesamtheit.

Tom Diesbrock und ich kennen uns schon lange. Ich empfehle seine Bücher gern. Sie stehen in meinem Regal. „Toller Typ“, sagte mir ein Kunde, der mir kürzlich „Mein Pferd ist tot“ komplett durchgelesen zurückgab. Wer mich kennt, weiß aber auch, dass ich Bücher von Freunden und Bekannten zwar bevorzugt lese, aber nur darüber schreibe, wenn ich einen persönlichen Draht dazu entwickeln kann. Diese Rezension ist also durchaus ein Freundschaftsdienst, aber einer aus innerer Überzeugung für das Produkt.

Ich konnte einen guten Draht entwickeln. Das hat wahrscheinlich drei Svenja-Hofert-spezifische Gründe. Der erste: Ich mag Tiefgang, Strukturen und klare Konzepte. Der zweite: ich liebe Sprache und Menschen, die damit umgehen könnten.  Der dritte: Ich wünsche mir zutiefst, dass Menschen sich persönlich weiterentwickeln, was Reflexion braucht und keinen Psychozauber. Weil reife Menschen am Ende der ganzen Gesellschaft nutzen.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

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