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Motive: Warum Sie wissen sollten, was Sie antreibt und in den Flow versetzt

Was treibt Sie an? Schließen Sie die Augen. Denken Sie an fünf Lebensstationen, die mit positiven Emotionen verbunden waren – einem yeah, einem ahhhh, einem wow. Was war es, das diese gute Gefühl in Ihnen ausgelöst haben? Schreiben Sie die Emotion – Interesse, Erkenntnis, Geborgenheit etc. – möglichst konkret auf einen Zettel, legen Sie diesen weg, lesen Sie weiter und holen Sie ihn dann am Ende dieses Artikels wieder hervor.
Was uns antreibt, sind nicht Stärken, nicht Talente – es ist unser individuelles Wollen. Dieses individuelle Wollen ist die Voraussetzung dafür, dass uns etwas gelingt. Es ist die Basis für die Stärkung von Stärken. Leistung ist Wollen x Können x Dürfen – so eine einleuchtende Definition. Empirisch belegbar, ja konkret messbar ist Wollen allerdings nicht. Während gewisses Können objektiv erfasst werden kann, etwa durch Computertests, ist Wollen – also die Motivgemenglage – nur durch die Person selbst subjektiv zu erfassen.
Wir wollen, was wir wollen und nicht was wir können
Motive sind zeitlich stabile Bedürfnisse und dauerhafte Antriebe, etwas zu tun oder zu lassen. Im Modell der „The New Big Five“ von Dan McAdams gehören die Motive zur ersten von drei Persönlichkeitsdimensionen, zu den „Traits“, also den stabilen, im Lebensverlauf kaum variablen Eigenschaften. Das hat zwei Gründe. Erstens: Wir wollen, wann wir wollen – und sonst nicht. Man kann Sie also vor einem Computer setzen und Ihre Konzentrationsfähigkeit testen – wenn Sie keine Lust haben auf die Fragen zu antworten, kommt da nichts raus. Und zweitens: Die emotionale Qualität des Wollens können nur Sie selbst beurteilen. Nur ich selbst weiß, welche Freuden es mir bringt, mich beim Sport völlig zu verausgaben, eine komplizierte Studie verstanden oder einen Aha-Effekt bei anderen bewirkt zu haben. Niemand sonst kann das für mich erfühlen. Und niemand sonst kennt auch den Unterschied zwischen Motiv und Motivation so gut wie ich selbst.
Gut fürs Coaching…
Karrierecoachs und Karriereberater müssen sich mit Motiven beschäftigen, weil diese die Basis für jede Neuorientierung und Potenzialentwicklung ist. Nur wer zwischen Motiven und Werten sowie Motivationen differenzieren kann, vermag die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten einzuordnen. Da Motive auch mit Themen wie der Ich-Entwicklung – also der persönlichen Reifung – eng verzahnt sind, bieten sie zudem eine ideale Basis für Persönlichkeitsentwicklung.
… aber nichts fürs Recruiting
Aufgrund ihrer hohen Subjektivität taugen Motive jedoch nichts für ein Recruiting und eine Personalentwicklung, die auf Selektion des Könnens ausgerichtet ist. Sinnvoll wäre ihr Einsatz nur, wenn man ernsthaft und ehrlich ermitteln wollte, was Menschen befriedigt. Das kann etwas ganz anderes sein als seine Stärken. Dies wird Motivexperten von anderen Experten, vor allem aus der Wissenschaft, oft vorgehalten: Was bringe es, wenn jemand das Motiv Macht habe, aber eine lausige Führungskraft sei? Als Praktikerin liegt die Antwort für mich auf der Hand: Es bringt einen Vorsprung bei der Entwicklung von Kompetenzen. Ich weiß bei einer Person mit Machtmotivation: Diese Person will Einfluss haben. Sie wird sich eher dahin entwickeln können, diesen Einfluss auch handlungskompetent geltend zu machen als ein Mensch, der diese Motivation nicht hat.
Deshalb halte ich nichts von reiner Stärkenorientierung – Motivorientierung wäre sehr viel wichtiger und zudem zeitgemäßer. Wer Stärken entwickeln möchte, braucht den Blick auf die Motive, nur dann kann sie wirksam sein. Menschen können talentierte Verkäufer sein, aber gar nicht verkaufen wollen – zum Beispiel, weil es sie anstrengt, auf Leute zuzugehen und sie lieber Fachartikel lesen würden. Im Idealfall verbünden sich Motive deshalb mit Stärken, wirkt also das Wollen auf das Können. Das ist auch der Grundgedanke meines Buchs „Was sind meine Stärken?“, das bald erscheint. Passen Motive und Können und Umfeld zueinander, dann geht der Verkäufer gern auf Leute zu, fühlt sich gut, wenn er Ziele erreicht und Hürden überwindet.
Motive haben zwei Seiten
Alles hat zwei Seiten, Yin und Yang. Die Auflösung von Dualität ist in allen Religionen dieser Welt die höchste Form der menschlichen Entwicklung. Dualität spiegelt sich auch in der Dialektik wieder. Das eine lässt sich nicht ohne das andere denken. Verbundenheit beispielsweise lässt sich nicht ohne Unabhängigkeit verstehen und erfahren. Man muss Dualität aber gar nicht spirituell sehen, um sie zu begreifen.
Auch in vielen wissenschaftlichen Ansätzen findet sich der duale Ansatz, etwa in der von Michael Apter entwickelten Reversal-Theorie. Danach befindet sich der Mensch immer in einem Zustand einer Zustandsgruppe. Er ist also zum Beispiel in der Zustandsgruppe „Macht“ entweder machtorientiert oder nicht machtorientiert, will in der Zustandsgruppe „Teamorientierung“ entweder unabhängig sein oder verbunden mit anderen. Auch das Wertequadrat von Schultz von Thun spiegelt eine aufgelöste dualistische Sicht. Das bedeutet, dass das eine vom anderen definiert wird, aber beide Seiten als gleichwertig angesehen werden.
Motive und Flow
Trotzdem man beide Seiten braucht, haben die meisten Menschen ein Heimatfeld, liegt ihre Aufgabe darin, den Wert der anderen Seite zu erkennen und diese anzunehmen. Motive haben auch deshalb viel mit Flow zu tun. Verhalte ich mich entlang meiner Motive, die eine Art Seelenlandschaft bilden, geht es mir gut. Verhalte ich mich gegen meine Motive, geht es mir schlecht. Hierbei steht aber nicht um beobachtbares Verhalten im Vorderrund, sondern die vom jeweiligen Menschen empfundene Qualität von etwas.
Denken Sie an „warmherziges“ Verhalten. Ein warmherziger Mensch verhält sich zugewandt, menschenorientiert, freundlich. Das kann man mit eigenen Augen sehen. Doch was empfindet er, wenn er warmherzig reagiert? Darüber sagen Motive viel eher etwas aus. Es kann sein, dass es jemand innerlich befriedigt, wenn er helfen kann. Es kann aber auch sein, dass das Gefühl von Verbundenheit diese Befriedigung auslöst. Oder viel genereller, kann der Kontakt mit Menschen, Freuden auslösen. Es ist aber auch denkbar, dass die Warmherzigkeit anstrengt und als lästig empfunden wird. Man verhält sich warmherzig, weil das Umfeld es verlangt oder weil es einem nutzt – dann ist es nur adaptiertes Verhalten. So könnte ein „agile Coach“ durch warmherziges Verhalten auffallen, davon innerlich aber trotzdem angestrengt sein. Eine Führungskraft könnte weitreichende Entscheidungen treffen, sich aber aufgrund eines niedrigen Machtmotivs damit dennoch unwohl fühlen, es eigentlich und im Grunde also nicht wollen.
Flow und New Work
Erkennen Sie den Unterschied? Verhalten lässt sich beobachten, Motive sind unsichtbar. Das gleiche Verhalten kann aus einem inneren Flow-Zustand entstehen – oder aus einem äußeren Anpassungszwang. Ich lenke Ihren Blick einmal auf die Zukunft der Arbeit und das Konzept der New Work. Flow ist in agilen Konzepten fest verankert, es ist ein Wert wie „Mut“ oder „Kommunikation“. Die Führungskraft soll im Flow handeln, die Mitarbeiter ebenso. Für die agile Welt sind Motive folglich die entscheidende Basis. Doch psychologische Aspekte spielen in agilen Konzepten oft gar keine Rolle. Man ist dort sehr auf die auf die Systemtheorie als Erklärmodell für alles und jedes ausgerichtet, die aber zum Verständnis menschlicher Psychologie wenig beiträgt. So kennt Luhmann keine Personen, sondern nur Hirne, die in ihrem binären Code denken/nicht-denken.
Flow ist ein Begriff der positiven Psychologie. Ich finde, diese sollte im Recruiting und in der Personalentwicklung einen höheren Stellenwert bekommen. Sollten wir nicht dafür sorgen, dass Menschen anhand ihrer Motive Stärken entwickeln? Sollten wir sie nicht lehren, sich selbst zu erkennen und Widersprüche aufzulösen für ein besseres Miteinander? Gerade Führungskräfte! Viele aktuelle Jobprobleme, die ich erlebe, sind gar keine Probleme der Tätigkeit oder des Umfelds, sondern einseitiger Bewertungen durch Chefs, aber auch durch Mitarbeiter selbst. Die Beschäftigung mit der emotionalen Qualität der Motive, die uns erst zur Selbstakzeptanz und dann zur Annahme des anderen führen kann, würde viel Unzufriedenheit in Luft auflösen.
Zurück zu Ihren Lebensstationen. Wenn Sie Ihre aufgeschriebenen Emotionen jetzt noch mal betrachten – was war der wirkliche innere Antrieb? Oft erlebe ich bei meinen Kunden, dass sich Muster zeigen. Wieso haben einem bestimmte Umgebungen gefallen? Warum kam in anderen immer wieder das Gefühl von Unzufriedenheit auf? Ein Sinn ergibt sich wenn man im Nachhinein auf etwas sieht. Dann entsteht die von Dan McAdams so genannte „Life Story“. In dieser hat auch das „Warum“ Platz und der Erkenntnisgewinn, den jemand hat, der sich mit seinen Motiven beschäftigt. Die eigene Identität wird gefüllt. Und scheinbar sinnlose Entscheidungen oder entscheidungsfreies Treibenlassen machen plötzlich Sinn.
Hintergrundinformationen über Motive habe ich für Interessierte hier zusammengestellt.fragenundanworten_motive
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
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Ich stimme Ihnen Frau Hofert absolut zu. Unsere Motivausausprägungen, also , das was uns wirklich strukturell
und emotional antreibt, sind unsichtbar und vielen Menschen auch unbewusst. Das kann zu Probelmen führen bzw. im Positiven auch zur Aufdeckung grosser Potentiale. Denn Motive beinflussen sehr stark unsere Wahrnehmung, unsere Glaubenssätze, die Ausbildung unserer Fähigkeiten und letzlich auch unser nach aussen sichtbares Verhalten. Wenn wir in der glücklichen Lage sind, dass wir die Dinge in der Art tun dürfen , die unserren Motivausprägungen entspricht, dann sind wir sehr effektiv was unseren Energieeinsatz anbetrifft. Weil, das , was uns antreibt, uns in der Umsetzung am wenigstens Energie kostet, so wie Sie es ja auch erwähnt haben. Und da liegt der entscheidene Punkt. Unser verdichtetes Leben sorgt immer mehr dafür, dass wir eigentlich mehr Energie brauchen, als uns letzlich zur Verfügung steht. Das Potential für Energiegewinn liegt also darin, die Dinge auf eine Art zu machen, die den individuellen Ausprägungen
der eigenen Lebensmotive entspricht. Was bedeutet dies aber z.B. für eine Führungskraft und Ihre Art zu führen? Je nach Ausprägung seiner Motive, z.B. Macht, Unabhängigkeit,Anerkennung, Status, Beziehung etc. wird er versuchen so zu führen, wie diese Ausprägungen es ihm am einfachsten machen. Beispiel: Hoch ausgeprägtes Machtmotiv = hoher intrinsischer Drang , die Dinge unter Kontrolle zu haben oder sogar selbst in der Hand zu haben. Niedrig ausgeprägtes Machtmotiv = es fällt leicht zu delegieren, nicht alles unter Kontrolle zu haben oder einer starken Führung zu folgen etc. Natürlich kommt jetzt hinzu, dass sich
einzelne Lebensmotive einander verstärken, ausgleichen oder auch abschwächen, man hat ja nicht nur ein Lebensmotiv. Insofern ist es wichtig die verschiedenen Motivkombinationen zu erkennen und zu berücksichtigen. Denn es kann auch Zielkonflikte geben (Beispiel: Hohe Ausprägung Macht, aber auch hohe Ausprägung Anerkennung und persönliche Verbundenheit).
Aber, wenn man dies der Anschaulichkeit mal aussen vor lässt, dann bedeutet das oben zur Ausprägung des Lebensmotives Macht Gesagte für eine Führungskraft, dass es sehr hilfreich ist, zu schauen, wie diese dieses Motiv am besten befriedigen kann.
Beispiel: Es kann sein, dass ein Unternehmer oder Geschäftführer mit einem niedrig ausgeprägten Machtmotiv, unter sich ausreichend Führungskräfte haben sollte, die über eine stärkere
Ausprägung ihres Machtmotiv verfügen. Diese sind dann happy, weil der Chef ihnen freie Hand lässt , und der Chef ist happy, weil er entsprechend seines Motives führen darf. Umgekehrt gilt dies
genauso.(Fachliche Kompetenz mal vorausgesetzt, ohne die geht sowieso gar nichts)
In meiner praktisches Arbeit habe ich erlebt, wie ein Unternehmer mit ausgesprochen gering ausgeprägten Machtgefühl verzweifelt war, weil auf einmal seine Zusammen- arbeit und Führung mit zwei Abteilungsleitern nicht mehr funktionierte. “Jetzt schenke ich Vertrauen und geben ihnen die Freiheit, aber sie kriegen die PS nicht auf die Strasse”. Früher ging das doch auch. Was war das Problem? Verkürzt gesprochen: Die neuen Abteilungsleiter hatten im Gegensatz zu ihren Vorgängern genau wie der Unternehmer ein bemerkenswert gering ausgeprägtes Machtmotiv. Ihre Mitarbeiter hatte aber ihr Vorgänger über die Jahre so augewählt, dass sie eine starke Führung bevorzugten, während
die neuen Abteilungsleiter genau wie Ihr Chef jetzt auf Vertrauen
und Eigenverantwortlichkeit setzte. (Und zwar nicht aus dem Antrieb für eine moderne Führungsaorganisation, sondern vor allem , weil es so für Sie motivmässig am besten passte).
Natürlich ist das jetzt alles etwas vereinfacht dargestellt, aber ich
habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr wohl sehr wichtig sein kann beim Recruitung oder auch bei der Bildung von Projektteams auf die Motive zu achten. Dazu bedarfs es nicht mal
eines Tests, weil da tatsächlich die Gefahr sehr gross ist, dass dieser sozial erwünscht ausgefüllt wird. Wenn man sich im Bereich der Motive aber sehr gut auskennt (egal, welches System man präferiert, ich habe mit dem Ansatz von Prof. REISS und seiner 16 Lebensmotive bislang die allerbesten Erfahrungen gesammelt, aber es gibt auch andere Ansätze, da möchte ich gar nicht in die Diskussion treten) dann kann man mit gezielten offenen Fragen Kandidaten verschiedene Motivausprägungen hin auf Passung einschätzen. Wobei gewisse Motivausprägungen in verschiedenen Unternehmenskulturen und auch in Hinblick auf den Reifegrad einer Organisation sich besser oder schlechter ausleben lassen, auch das muss mit illusionsfreier Ehrlichkeit im praktischen Leben anerkannt werden.
Deshalb gilt auch umgekehrt, dass ein Kandidat, der seine Motive sehr gut kennen sollte, durch entsprechende Fragen und Beobachten auch
feststellen kann , ob ein Unternehmen oder eine Organisation zu ihm passt und er seine Motive effektiv nutzen kann. Es ist also ein beidseitiger Nutzen.
Zusammenfassend möchte ich einfach nur bestätigen, dass es gar nicht gnügend Ausführungen, wie die ihre Fru Hofert geben kann, damit dieses Thema viel mehr Eingang in die Praxis nimmt.
Auch in anderen Zusammenhängen, wie z.B dem Thema Burnout durch Überlastung. Wenn man seine Motivausprägungen kennt, dann weiss man, dass eine dauerhafte Nicht-Befriedigung im beruflichen, aber auch privaten Leben (!), bei steigendem Druck zu massiven Überlastungen führen kann, die bis in den Burnout oder die Depression führen können. Auch dies wird leider noch zu wenig systematisch betrachtet.
Dankeschön für den guten ergänzenden Kommentar! LG Svenja Hofert
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