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Nichts ist so wie es scheint: Wie Bewerbungsfotos uns in die Irre führen

Letzte Woche habe ich ein Experiment gemacht und hier fünf Bewerbungsfotos eingestellt. Ich wollte wissen, welche Assoziationen sie auslösen. Der Beitrag wurde vielfach abgerufen, aber nur wenige trauten sich zunächst, ihn auch zu kommentieren. Doch nach dem ersten Kommentar ging es schnell. Damit hatte ich ebenso gerechnet, wie mit der Unterschiedlichkeit der Assoziationen, die die Fotos auslösten. Natürlich wollte ich auf etwas heraus und am Ende ein Fazit ziehen, nämlich, dass man sehr vorsichtig sein sollte mit seinen Interpretationen. Was lehrt uns das Experiment?
Wir interpretieren ohne es zu wollen
Wie sieht ein spanischer Restaurantbesitzer aus? Ich lege Ihnen zwei Fotos vor, auf einem ist ein dunkelhaariger Mann, auf einem anderen ein blonder. Sie werden automatisch auf den dunkelhaarigen tippen und missachten, dass in Nordspanien der Anteil blonder Menschen nicht kleiner ist als in Bayern.
Wir lassen uns von Äußerlichkeiten in die Irre führen und denken laufend in Schubladen. Das Gehirn ist so gestrickt. Es vereinfacht und nutzt nie genaue Algorhitmen. Mit Bildern verbinden wir auch im Bewerbungskontext Erfahrungen: So sieht jemand aus, der in einer Werbeagentur arbeitet! Das ist kreativ – und das nicht. Das haben wir irgendwo gelernt, zum Beispiel in unserer Schulzeit, während der Ausbildung, in unserem eigenen Unternehmen, im Fernsehen oder im Internet. Je weniger Ausschnitte wir kennen, desto klischeehafter wird unser Bild. Kenne ich Werber nur aus der Werbung, so sehe ich diese in der Regel eindimensionaler, als wenn ich, etwa als Marketingleiter, auch andere „Prototypen“ kennengelernt habe.
Assoziationen sind individuell
Ein Kommentator schrieb: „Es wundert mich total, dass noch niemand die gleiche Assoziation geäußert hat, in meinem Kopf erschien sofort das Wort “Werbeagentur”, Kreativbranche“. Mich wundert das nicht. Ja, es gibt oft ähnliche Assoziationen, aber nicht immer gleiche. Nehmen wir die Dame mit dem dunklen Haar und den selbstbewusst gekreuzten Armen. Die ist für einige klar ein Managerinnentyp – aber jemand sah hier auch die Assistentin. Die Mehrheit assoziiert aber etwas Höheres – so wie ich auch; deshalb habe ich sie für Kexpa-Musterbewerbungen in dem Bereich ausgewähnt. Aber das gilt nicht für alle. Beim Lockenkopf gehen die Meinungen auseinander. Ich habe ihn für die Musterbewerbung „CIO“ gecastet, weil ich – wie offenbar auch andere – die Assoziation IT hatte. Einer sah ihn als Spieleentwickler, einer im mittleren Management (für mich sehen Spieleentwickler vielleicht auch deshalb anders aus, weil ich live einige gesehen habe). Welche Managementebene passend war, scheint nicht eindeutig. Klarer ist es bei der blonden Dame: Sie wird durchweg nicht als Managerin auf höherer Ebene wahrgenommen. Dass Sie in unseren Unterlagen Vorstandsassistentin „geworden“ ist, deutet also auf einen maximalen Konsens. Aber man könnte, zeigen die Kommentare, auch eine Tierärztin in ihr sehen…
Was lernen wir für Bewerbungsfotos?
Bewerbungsfotos manipulieren und überstrahlen Fakten. Sie werden Wahrnehmung ganz entschieden beeinflussen. Auch HR-Profis sind nicht davor gefeit. Sie können sich aber besser schützen, indem sie für den ersten Eindruck erst gar nicht auf ein Foto schauen. Eine Hypothesenbildung aufgrund eines äußeren Eindrucks wird es immer geben: Man sieht, hört, liest etwas – und schon ist die Hypothese in Form einer schnellen Einschätzung da. Was tun dagegen? Schon seit fast 10 Jahren argumentiere ich für die anonyme Bewerbung. Aber davon sind wir immer noch weit entfernt. Ich freue mich jedoch zu sehen, dass es immer mehr Online-Bewerbungsformulare gibt, die Fotos automatisch aus den Unterlagen löschen.
Bis das breiter Konsens wird, sollten wir am Bewusstsein arbeiten, finde ich. Daran, den Sinn dafür zu schärfen, dass alles ganz anders sein kann, als erwartet. Der Personaler muss sein eigenes “biopsychosoziales” System kennen. Er muss wissen, welche Heuristiken und Biasse auch ihm immer wieder ein Bein stellen. Er muss sich bewusst sein, wie seine eigene Erfahrung ihn prägt. Viele erkennen das nicht als wichtigen Wert bei der Personalauswahl, sondern folgen weiter der eigenen Nase, siehe folgenden Beitrag über fehlende Kompetenz in HR. Für den Bewerber ist das Chance und Gefahr zugleich. Ich sehe allerdings die Gefahren größer als die Chancen. Für Aussehen können wir (fast) nichts. Narzisstisch geprägte oder gut beratene Bewerber haben hier einen Vorteil: Sie achten von sich aus mehr auf den Schein.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
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