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Psychologie der Veränderung: 5 Schritte, die jede echte Transformation braucht

Veränderung? Bitte nicht. Viele Menschen sagen mir, sie wollten endlich ankommen. Doch ist es das große Bedürfnis, in einen Bahnhof einzufahren, der „Ende“ heißt? Wenn ich dieses Bild in die rechte Gehirnhälfte male, wird schnell bewusst, dass es das nicht sein kann. Ankommen heißt für viele „endlich ruhig und gelassen reisen“. Es ist der Wunsch nach mehr Zufriedenheit als jetzt. Doch was ist der Vater oder die Mutter dieses Gedankens?
Eine gewisse Trägheit. Viele wünschen sich die Endstation “Ponyhof”. Sie möchten am liebsten irgendwo einsteigen, wie in einen Zug. Und dann nicht selbst fahren. Der Zug des Lebens sollte maximalen Komfort bieten. Die Reisekosten bitte niedrig halten, fordert das Unbewusste. Die Reiseroute sollte auch schon feststehen, bloß nicht zu viele Überraschungen oder gar Wegekreuzungen. Lokführer des eigenen Lebens sollte bitte jemand sein, der auch in Krisenzeiten weiß, was man tun muss, und einem des Lenken abnimmt.Das sind alles menschliche Bedürfnisse, aber so spielt das Leben eben nicht.
Wir sind selbst Führer in unserem Lebenszug
Unser Zug hat keinen Führer außer uns. Die Richtung bestimmen wir. Selbst wie wir uns auf der Reise fühlen ist weitgehend uns überlassen. Denken wir nur ans Ziel oder genießen wir auch die Reise? Wenn wir einmal losgefahren sind, scheinen Richtungsänderungen schwierig. Wir meinen auf etwas zuzusteuern, ruckelnd oder rasend schnell. Nicht wenige sehen vor lauter Zielbild nichts anderes mehr. Die Fahrt nehmen sie erst recht gar nicht wahr.
Notbremse für die Veränderung
Veränderungen beginnen oft mit einer Notbremse. Sie führt dazu, dass wir uns festhalten müssen. Vielleicht fallen wir hin und holen uns ein blaues Auge.
Die Psychologie hat den Prozess menschlicher Veränderungen immer wieder untersucht. Warum ändern sich manche Menschen so grundlegend – und andere nicht? Was sind gute Bedingungen für Veränderung? Lässt sich Veränderung von außen steuern? Das interessiert gerade in diesen Zeiten ganz besonders. Organisationen stehen vor fundamentalen Veränderungen. Deutschland gilt technologisch als abgehängt. Die Bloomberg Business Week sagte dem Land diese Woche eine wirtschaftliche Schwächeperiode voraus. Da liegt zu viel im Argen, andere sind schneller im adaptiven Wandel.
Die Automobilindustrie muss sich neu erfinden. Die Banken. Die Telekommunikation. Keine Branche ist sicher. Viele verzweifeln daran, dass Führungskräfte und Mitarbeiter die Tragweite des notwendigen Wandels intellektuell, aber nicht emotional begreifen. Die Hausmittel funktionieren nicht mehr. Es reicht nicht auf die Bahnstation „neue Richtung“ zu schreiben, um die Weichen neu zu stellen. Dies wird spätestens nach der ersten Welle der Agilität deutlich geworden sein. Bis hierhin haben Unternehmen feststellen müssen, dass es nicht reicht, die Bahn mit neuen Sitzen auszustatten, um den Kurs zu ändern.
Innere Prozesse der Veränderung werden plötzlich interessant
Change, Shift, Transformation: In diesem Zusammenhang erlebt die Psychologie als Wissenschaft von den inneren Prozessen eine Renaissance. Gibt es etwas, das Veränderung leicht und planbar macht, fragen sich viele. Wie funktioniert Veränderung? Kann man sie von außen steuern? Planen? In einer betriebswirtschaftlichen Ist-Soll-Logik sogar?
Veränderung ist ausschließlich selbstorganisiert
Die Antwort wird alle enttäuschen, die die stille Hoffnung bis hierhin getragen hat. Nein, Veränderung ist immer selbstorganisiert. Die Psyche organisiert sie und nutzt dafür ausschließlich eigene Ressourcen, auch wenn sie diese neu aufbauen muss. Auch wenn Impulse von außen dabei helfen. Doch was man annimmt, entscheidet das selbstorganisierte Gehirn und niemand anderes. Und das bedeutet, dass Veränderung in jedem Menschen als Reorganisation geschieht, ohne dass die äußeren Einflüsse berechenbar wären.
Rahmen helfen, aber der Prozess ist ein innerlicher
Wir können Rahmen für Veränderung bieten und diesen immer wieder neu gestalten, aber der Prozess der Veränderung ist ein innerlicher. Er entzieht sich jeglichen Bespaßungsversuchen. Die tollsten Events sind so wirksam wie etwas Luxus auf der Fahrt mit der Deutschen Bahn: Der kostenlose Twix-Riegel mag erfreuen, aber das hält nicht lange vor. Sind die Sitze immer bequem und gibt es immer etwas Süßes, dann fahren wir mit dieser Erwartungshaltung weiter, innerlich kein bisschen durchgerüttelt.
Die Theorie der fünf Schritte der Veränderung
Aber was verändert wirklich? Da gibt es viele verschiedene Theorien mit zum Teil sehr komplizierten Namen wie die „Dynamic systems theory of non-linear and discontinous patterns of change“. Letztendlich lässt sich die Essenz dieser Theorien in einem einfachen Modell verdichten:
- WUNSCH nach Veränderung durch Krise, Trauma oder Entwicklungsübergang
- DRINGLICHKEIT, die nicht ignoriert werden kann
- EINSICHT, dass etwas anders gemacht werden muss
- KONSTRUKTIVE AKTION und graduelle Anwendung
- ERHOLUNG vom unvermeidlichen Rückfall
Vor allem der 5. Punkt scheint mir besonders erwähnenswert, denn er zeigt, dass es von allem Versuche geben muss, die scheitern. Wir können die 5 Schritte auch ganz einfach in die Heldenreise übersetzen, auch Quest genannt. Das ist im Ursprung kein psychologisches Modell, sondern stammt aus der Mythenforschung des James Campbell. Die Heldenreise erlangte in den 1970er Jahren Popularität und liegt verschiedenen Filmen konzeptuell zugrunde, etwa Star Wars.
- Der Ruf des Abenteuers entspricht dem Wunsch nach Veränderung.
- Die Weigerung des Helden, dem Ruf zu folgen, ist eine ignorierte, aber wahrgenommene Dringlichkeit.
- Die dann eintretende übernatürliche Hilfe ist die an fremde Kräfte delegierte Einsicht.
- Das Überschreiten der ersten Schwelle ist eine konstruktive Aktion und ein gradueller Schritt.
- „Der Bauch des Walfischs“ oder der „Drache“ macht die Größe der Herausforderung bewusst und verführt zum Rückzug, also Rückfall.
- Der Weg der Prüfung zahlt auf die graduelle Anwendung ein.
- Es folgen in der ausführlichen Form viele weitere Prüfungen, also Versuche etwas zu wenden.
- Am Ende ist der Feind besiegt und der heilige Gral gefunden.
Die Heldenreise wurde für die systemische Therapie adaptiert, denn das System ist ebenso einfach wie einleuchtend. Man fragt sich, an welchem Punkt man gerade steht. Organisationen stehen derzeit fast ausschließlich bei 2. 3 ist für ich mich Agilität, es st eine an fremde Kräfte – Methoden – delegierte Einsicht.
Eine Botschaft hilfreich: Wer weiß, dass Rückschläge normal sind, wird dieser immer noch nicht suchen, kann damit aber anders umgehen. Es trägt zur Resilienz bei. Die Kraft des Storytellings ist ebenso stark. Je mehr unsere rechte Gehirnhälfte angesprochen ist, desto stärker die Treib- und Triebkraft.
Emotionsorientierte Interventionen und Narrative sind wichtig
Das spricht für emotionsorientierte Interventionen und Narrative auch im Kulturwandel. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man auch nach einem emotionalen Erlebnis weiter in seinem Zug fahren kann und die Führung an den Lokführer delegieren. Denn Veränderung ist schmerzhaft. Sie beginnt in Schritt eins mit Diskomfort – mit Krise, Trauma oder einem Entwicklungsübergang. Auch letzterer fällt nicht vom Himmel. Er kann sich aus der Tatsache ergeben, dass die bisherigen Strategien an Grenzen geraten sind und ist somit auch Schmerz und Irritation. Jedenfalls löst es niemals Wohlgefühle aus, wenn man Grenzen erlebt.
Das sagt aber auch umgekehrt, dass nichts außer Kosmetik passieren wird, wenn eine Strategie weiterhin funktionieren, Und genau das sieht man gerade in vielen Unternehmen. Warum sollte sich jemand ändern, der im gleichen Zug wie bisher fährt und nun nur andere Getränke dargereicht bekommt – auf denen „Agil“ steht?
Wer an Änderungen nicht vorbei kommt, steht auf oder geht weg
Nun stellen Sie sich aber vor: Diese Person MUSS aufstehen und aussteigen. Sie landet in völlig unbekanntem Gebiet, auf sich selbst gestellt. Das ist schwer, eine Herausforderung. Vielleicht gilt es, eine ganz neue Sprache zu lernen, wer weiß? Die Person lernt andere Menschen kennen, die ganz anders denken. Sie erzählen andere Geschichten über das Leben. Es gibt neue Identifikationspersönlichkeiten mit großer psychologischer Anziehungskraft. An denen richtet man sich jetzt aus, den jeder Mensch braucht Führung, und sei es Führung über eine Idee (die auch immer von Personen verkörpert wird).
Die bequeme Fahrt ist zuende, aber jetzt gibt es ein neues Leben. Die Psychologie der Veränderung ist nämlich nicht nur Persönlichkeits-, sondern auch Sozialpsychologie. Die Gruppe wirkt auf den Einzelnen, indem sie ihn in seinen Lebensannahmen bestätigt oder in Frage stellt.
Die Komplexität erhöht sich
Wenn die Selbstwahrnehmung sich durch die Fremdwahrnehmung verändert, dann beginnt Schritt eins mit einer Irritation, die einen Entwicklungssprung auslösen kann. Diese Sprünge sind immer und ausnahmslos dadurch geprägt, dass sich die eigene Komplexität erhöht. Es ist nicht einfacher, sondern schwieriger. Es ist nicht planbarer, sondern unplanbarer. Der Mensch ist in diesem ersten Schritt auch nicht glücklicher, sondern unzufriedener. Und hey, diese Unzufriedenheit ist wichtig und notwendig. Wenn plötzlich Ego States – also Ich-Zustände – hervorkriechen, innere Kinder und sich lauthals melden, dann passiert etwas, das den Zug vorübergehend schlingern lässt. Bei allem Blick auf positive Psychologie und Wunsch nach Motivation, bei allem Sinnstreben und der Suche nach Glück: Es beginnt mit einem mehr oder weniger großen Big Bang.
Liebe Organisationsverantwortliche, die Wahrscheinlichkeit, dass sich eure Leute grundlegend verändern ist sehr gering, wenn ihr das Neue in alten Formen packt und darreicht. Wenn ihr Schmerzen nicht einrechnet und Unzufriedenheit nicht als normal annehmt, wird das mit dem Wandel schwierig werden. Vor allem ihr, die ihr bisher auf Experten gesetzt hat, die auch deshalb Experte geworden sind, weil sie nicht fühlen wollen und Angst vor Nähe haben, seid besonders gefragt. Wenn ihr diese Leute zu Führungskräften gemacht habt, dann setzt sie jetzt in einen anderen Zug. Aber vorher klärt bitte noch mal die Sache mit der Verantwortlichkeit und der Führung.
PS: Mein Buch “Mindshift” kann auf der Zugfahrt helfen, für neue Themen zu öffnen. Vielleicht motiviert es ja auch den einen oder anderen, mal zwischendurch auszusteigen.
Beitragsfoto: Deipixel – Shuttestock.com
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
ich finde diesen artikel sehr gut. ich denke, mit der zufriedenheit, die notwendig ist, um den weg selbst mit allen sinnen gegenwärtig leben zu können, ist auch nicht eine art abschließender genügsamkeit gemeint, sondern eine art gefaßtheit der seele, die sie befähigt, sozusagen in jedem atemzug neu die bedingungen des umgebenden und die eigene reaktion darauf zu erfassen und zu leben