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Serendipity: oder die Kunst, auch ohne Visionen und große Ziele erfolgreich zu sein

Veröffentlicht: 9. Juni 2014Kategorien: Psychologie

Haben Sie eine Vision? „Wer Visionen hat, soll zu Arzt gehen“, lautet das berühmte Zitat zum Thema, von Ex-Bundeskanzler Schmidt.

Eagle Owl, Bubo buboDabei sind Visionen eine Art Pflichtprogramm in der Business Welt. Sie sind scheinbar wichtig für Erfolg jeder Art. Unternehmer können nicht ohne Visionen, will man uns sagen, bleibt aber den Beweis schuldig. Es gibt reihenweise Bücher, die einem Visionen nahe bringen wollen und noch mehr die Visionäre als Vorbild vorführen.

Wenn Sie sich die Erfolgsstories der VIPs und Semi-VIPs so durchlesen, so hatten alle schon im Sandkasten eine Vision. Sie wussten zum Beispiel schon damals im Hinterhof des Ruhrpotts, dass sie es einmal schaffen würden. Wobei „es schaffen“ immer was mit Durchsetzen gegen böse Antihelden, Geld, einer schönen Frau und netten (blondgelockten) Kindern zu tun hat.

Coaching und Karrierecoaching wird auch mit Visionen assoziiert. In meiner Karrierecoach-Weiterbildung wurde ich gefragt, ob es nicht so ein Tool zur Visionsentwicklung gibt. Irgendetwas, das den Prozess beschleunigt und dem Kunden schnelle Aha-Effekte zufügt. Ich muss da passen. Nach allem was ich weiß, bräuchte es Drogen für den fantasievollen Trip in die Zukunft. Und die  gehören derzeit nicht zu den Coaching-Tools.

Ich selbst habe mich entschieden, mich nicht mehr durch die Suche nach Visionen stressen zu lassen, nachdem ich jahrelang welchen hinterhergelaufen bin, ohne sie zu finden. Du musst doch! dachte ich mir, selbst ein Opfer der Laienliteratur und des Gruppendenkens. Ich habe alles versucht, um die Technik der anderen an mir selbst auszuprobieren. Immer war ich gern Testkandidatin nach irgendwelchen Ausbildungen. ich mach alles mit, könnte ja den Stein der Weisen bringen (hat es nie).

Das hat bei einem “Treatment” zu skurrilen Visionsbildern geführt: Ich sah mich als Bedienung in einem Frühstückscafe und Rühreier braten. Dazu sollten Sie wissen, dass ich mich, wenn ich zwischen zwei Übeln wählen kann, mit denen ich mich beschäftigen MUSS, lieber mit theoretischer Finanzmathematik als mit irgendetwas beschäftige, dass mit Kochen und Servieren zu tun hat. Ich bin katastrophal unpraktisch. Die Vision kam trotzdem, als ich da so lag. Auch die von einem Kosmetikstudio, einer Wellnessplantage und Olivenhainen in der Toskana. Hat alles nichts mit mir zu tun, auch wenn es Leute gibt, die einem gekonnt einreden, dass da das Unbewusste mit einem spricht und immer noch Freud und die rechte Hirnhälfte zitieren, also veraltetes Wissen.

Ich habe es bei mir auch mit den üblichen Techniken versucht, die ich bei meinen Kunden anwende. Die eine Technik ist vorwärts gerichtet: was sind Vorstellungen für die Zukunft, was will man mitnehmen in den nächsten Schritt? Was ist erstens wichtig, was zweitens usw.? Man geht also aus dem Jetzt in die Zukunft. Die andere Technik ist rückwärtsgerichtet. Da setzt man sich ein Datum im Bereich der Rente und geht entspannt zurück, z.B. in sieben Jahres-Schritten. Am besten unter Hypnose oder in meditativem Zustand.

Beides sind prima Übungen. Jedoch nur dann, wann Leute echte Visionen haben und entwickeln können und wollen. Ich selbst habe für mich das Fazit gezogen, dass ich nicht dazu gehöre. Und zumindest in meiner Umgebung sind recht viele Menschen, denen das ähnlich geht. Das Wissen, keine Vision haben und diese mit unerbittlichem Ehrgeiz verfolgen zu müssen, erleichtert. So wie es manche erleichtert zu hören, dass sie kein Buch schreiben müssen, um erfolgreich zu sein.  Nein, noch mehr.

Letztendlich ist das auch die Botschaft meines Buchs Slow-Grow-Prinzips; die Gängelei durch den Zwang zur Vision war mir aber 2011 – als ich es geschrieben habe – noch nicht in vollem Umfang bewusst.

Inzwischen kann ich sagen: Ich will überhaupt nicht wissen, was in der Zukunft sein wird. Mir reicht die ungefähre Vorstellung von den nächsten ein bis drei Jahren. Ich baue an meinen Unternehmen, verzahne meine Karriereberatung, Karriereexperten, Karriereexpertenakademie und Kexpa – und mache das, was im Moment mit Blick auf die Zukunft logisch ist, um Altes in Neues zu transformieren. Bildlich gesehen: Ich schaue lieber wie ein Erdmännchen in das weite Land der jungen und kleinen Branche Karriereberatung und unterscheide Greifvögel von Plastikspielzeugen.  Ich möchte wirklich nicht wissen, was mir in zehn Jahren einfällt, weil mein Bewusstsein dann ein anderes sein wird als jetzt. Ich habe mich oft verändert, aber habe es nie geplant. Eine Vision würde mich unflexibel machen und festnageln.

Version der Vision wie die mit dem Sandkasten. Visionen und Serendipity passen nicht gut zusammen: es ist schwer eine zufällige Entdeckung zu machen, wenn man mit aller Kraft auf etwas zustrebt. Das ist auch das Dilemma vieler Unternehmer. Vor lauter Vision sehen Sie nicht mehr, welche Pilze unter der Erde wachsen.

Das alles heißt nicht, dass Visionen schlecht sind, wenn jemand sie hat. Man kann Visionen erzeugen. Indem ich mir Dinge immer genauer vorstelle, werden sie näher, greifbarer, zur Vision. Stelle ich mir vor, dass ich zum 70. Geburtstag meine Enkel einlade und ihnen erzähle, was ich die letzten sieben Jahre gemacht habe, konstruiere ich meine Zukunft. Ich erzeuge Bilder, die mich dann im Alltag begleiten. Aber selbstverständlich fließen Vorstellungen von Jetzt ein und vielleicht verborgene Wünsche, die gerade aktuell sind. Das kann hilfreich sein – wenn etwas Wünsche da sind.  Ich habe aber öfter die Erfahrung gemacht, dass nichts da ist, und dass das nicht schlimm ist.

Wenn ich jetzt einigermaßen zufrieden bin, brauche ich die Vision nicht. Auch nicht als Inhaber eines Unternehmens. Und möglicherweise nicht mal als Konzernlenker. Jetzt werden viele Steve Jobs zitieren. Aber mal ehrlich. Folgte der in den 1980ern schon der Vision des Iphone? Ganz sicher nicht. Wenn man sich die Biografie genau anschaut, bleibt wenig Visionäres. Jobs hat auch nur strategisch gedacht, sich weltweit nach Technik umgeschaut, das Beste gesucht und sein Faible für Design ausgelebt. Im Grunde war er einfach nur ein Perfektionist.

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

5 Kommentare

  1. ina machold 10. Juni 2014 at 8:37 - Antworten

    Liebe Frau Hofert,

    danke!
    Sie beschreiben genau das Erleben und die innere Haltung, die ich bei so vielen Menschen (genau genommen ausschließlich Frauen) in meinen Coachings und Trainings kennengelernt habe. Ich habe daraus für meine Arbeit ganz eigene Konsequenzen gezogen, die sich jenseits von linearem Zeitverständnis, Unabhängigkeitsutopie und einem einseitigen Erfolgsbegriff bewegen. Erst letzte Woche habe ich dazu Näheres geschrieben:
    http://bit.ly/1kgpQ9G

    Ich glaube, diese bisher bekannten sogenannten Erfolgsstrategien und -empfehlungen, die Sie erwähnen, basieren auf einem Irrtum und werden sich über kurz oder lang fundamental verändern (müssen?).

    Herzliche Grüße
    ina machold

  2. Volker Kling 15. Juni 2014 at 14:47 - Antworten

    Sehr geehrte Frau Hofert,

    ich glaube nicht, dass sich Serendipity und Vision ausschließen.
    Die Vision als langfristiges attraktives Ziel, als “Fixstern” der beruflichen Planung, muss natürlich immer heruntergebrochen werden auf Jahrespläne, Projekte und auch auf eigene Reaktionen auf das Tagesgeschehen.

    In diesem “Vorfeld” der Vision heisst es sicherlich immer, achtsam Chancen, Veränderungen und Besonderheiten zu beobachten und ggf. zu nutzen.
    Ein brachiales Zusteuern auf ein großes Ziel wird vermutlich auch selten zum Erfolg führen. Umgekehrt birgt das Fehlen einer visionären Perspektive die Gefahr des Verzettelns und des richtungslosen Manövrierens.

    Agile Managementmethoden berücksichtigen aus meiner Sicht dieses Wechselspiel von Planung und dynamischer Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten.

    Beste Grüße aus Mannheim
    Volker Kling

    • Svenja Hofert 17. Juni 2014 at 12:09 - Antworten

      Hallo Herr Kling, danke für Ihre Ergänzung. Das schließt sich absolut nicht aus – sofern es um Ziele geht und nicht die Art konstruierter Visionen, die ich hier meine. Es ist ein Unterschied, ob ich an etwas glaube und das verfolge, oder eine Vision mir erspinne, die keine ist 😉 Und, ja agil wäre auch hier ein sehr vernünftiger Ansatz. LG SH

  3. […] Svenja Hofert hat neulich einen tollen Artikel zum Thema “Serendipity” geschrieben: Nach dieser Zeit des Loslassens haben die […]

  4. […] Svenja Hofert hat neulich einen tollen Artikel zum Thema „Serendipity“ geschrieben: Nach dieser Zeit des Loslassens haben die […]

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