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Stärken & Studium: Wie sich Persönlichkeit in der Studienwahl zeigen

Warum wählen die einen BWL und entscheiden sich die anderen für Ingenieurwesen? Was bringt manche zur Soziologie und andere zur Medizin? Es sind nicht nur Abiturnoten, Familienhistorie und Interessen. Es ist auch die Persönlichkeit, aus der sich Eigenschaften und Stärken ableiten. Verschiedene Studien haben sich mit dem Zusammenhang von Persönlichkeit und Studienwahl auf Basis der Big Five befasst. Diese wurden in unterschiedlichen Ländern von Spanien über Kanada bis in die USA mit ähnlichen Ergebnissen durchgeführt. Eine aktuelle Studie legte jetzt Anna Vedel für Dänemark vor. Einige Ergebnisse – und was das konkret für Studienwahl und Berufsorientierung sowie für die persönliche Stärkenentwicklung bedeutet.
Extraversion: Marketing führt die Liste der “Lauten” an
Stille Wasser gründen tief. Und ja, sie lieben oft auch Bücher. So ist es kein Wunder, dass Geisteswissenschaftler, Ingenieure und Naturwissenschaftler in vielen Studien geringere Extraversionswerte zeigen. Business-relevante Fächer ziehen in allen Dimensionen extravertiertere Personen an als Nicht-Business-Relevante. Und welche Studenten sind am extravertiertesten? Na, die aus dem Marketing! Hätte ich Ihnen auch ohne Empirie sagen können. Aber gut, dass es damit belegt ist. Gilt übrigens auch für PR – das ist nun meine persönliche Einschätzung, Öffentlichkeitsarbeit kommt in der Studie nicht vor.
Was heißt das für die Studienwahl?
Natürlich profitiert jedes Fach von einem guten Mix. Andrerseits fühlen sich Menschen naturgemäß fremd und unbehaglich, wenn alle um sie herum anders sind. Fremdkörpergefühle senken zudem das Selbstbewusstsein. Gerade in einer Phase, in der die Persönlichkeit noch labil ist, ist es sehr schwierig mit dem Anderssein locker umzugehen. Ja, in Vertriebs- und Marketing-Abteilungen geht es lauter (extravertierter) zu und in Finanzabteilungen und der IT leiser (introvertierter). Das muss einem klar sein, wenn man bestimmte Fächer wählt. Andrerseits gibt es immer wieder typische und weniger typische Einsatzfelder. Außerdem sollte die Welle der Introversions-Literatur in Personalabteilungen angekommen sein, die hoffentlich begreifen, dass ein gutes Team nicht immer mehr vom Gleichen, sondern immer mehr vom Anderen braucht.
Neurotizismus/Instabilität: Typisch für Denker-Typen
Der Mythos lautet, dass Psychologie-Studenten das Fach oft schon deshalb wählen, weil sie selbst ein Problem haben. Er scheint nicht ganz unberechtigt: Pädagogen und Psychologen sowie Geisteswissenschaftler sind emotional signifikant weniger stabil als Studenten der Naturwissenschaften. Das bedeutet, sie machen sich häufiger Sorgen, sind weniger belastbar und nicht so risikoaffin. Ökonomen und Juristen erweisen sich in den meisten Studien als emotional stabiler, haben also einen geringeren Neurotizismus. Gleiches gilt auch für Mediziner.
Was heißt das für die Studienwahl?
Geisteswissenschaftler hören besonders oft „was willst du damit machen?“ – und da sie besonders empfindsam sind, reagieren sie eher darauf. Die Resonanz von außen verunsichert. Dagegen hilft nur, Coolness trainieren und am besten frühzeitig Wirtschaftsluft atmen anstatt sich komplett vergeistigen zu lassen. Nehmen Sie die Empfindsamkeit als Stärke an, die gerade verbunden mit Introversion auch zu einer größeren Nachdenklichkeit führt. Üben Sie frühzeitig, Stärken zu entwickeln, die Ihre Stärken stärker machen, z.B. Ihren Standpunkt zu argumentieren und bauen Sie Ihr Selbstbewusstsein auf, indem Sie sich aktuelle und nachgefragte Themen erschließen. Packen Sie sich das in den meisten Bereichen notwendige BWL-Wissen auf und nutzen Sie die Qualitäten, die sie haben, um die Welt ein bisschen besser zu machen.
Offenheit für neue Erfahrungen: Spezifisch für Geistes- und Naturwissenschaftler
Neues? Aber nur her damit! Veränderung? Willkommen! Geisteswissenschaftler und Naturwissenschaftler sind erheblich offener als alle anderen Gruppen Studierender, und das weltweit. Auch Mediziner sind eher so. Das bedeutet, diese Menschen sind neugieriger, wissenshungriger und allein dadurch schon kreativer. Sie suchen mehr nach dem „Anderen“ und sind oft auch eher an Kunst und Philosophie interessiert. Das führt zu Nonkonformismus, sieht auch mein Post hier. Ich sehe sehr viele Naturwissenschaftler in meiner Beratung, die alternative Berufswege gegangen sind. Außerdem ist es besonders für Mathematiker, Physiker und Biologen spezifisch, dass sie sich für Dinge jenseits des eigenen Tellerrands interessieren. Arbeitgeber sollten das beim Recruiting stärker berücksichtigen: Wenn sie sich kreatives Denken ins Haus holen wollen, dann sollten sie den Philosophen-Lebenslauf nicht gleich aussortieren, sondern ihm im Gegenteil erst recht eine Chance geben.
Was heißt das für die Studienwahl?
Gerade weniger offene Bereiche würden natürlich von den Offenen sehr profitieren, allerdings ist es auch gut, dass es immer die widerstrebenden Tendenzen Bewahren-Verändern gibt – Finanzer sollten nun mal nicht alles umwerfen, nur weil etwas neues interessanter ist (Offene neigen dazu, sage ich Ihnen als sehr Offene aus eigener Erfahrung). Gerade Gisteswissenschaftler, deren Schwierigkeiten sich bei der Berufsintegration in den letzten Jahren eher verstärkt haben, sollten mehr über Mix-Fächer nachdenken und wirtschaftsnahe Kombinationen wie Philosophie und Informatik als Alternative erkennen. Sie sollten ihre Angst vor Mathematik verlieren, wenn sie die haben (und sie haben sie öfter) – denn bei der Angst spielt eben auch ihre Persönlichkeitsdisposition eine Rolle. Es ist alles nur im Kopf…
Verträglichkeit: Juristen und Ökonomen bringen mehr natürlichen “Ellenbogen” mit
Ellenbogen gefällig? Dann begeben sie sich doch mal in eine Kanzlei. Natürlich gibt es nette und friedfertige Juristen und Ökonomen, doch in der Tendenz sind diese weniger verträglich als ihre Kollegen aus anderen Studienrichtungen. Studenten der Psychologie und Geisteswissenschaften sind deutlich verträglicher, ebenso wie Mediziner und Naturwissenschaftler. Das gilt übrigens in Spanien, USA, Großbritannien, Belgien und Dänemark – unterschiedliche Auslegungen der Berufsbilder scheinen also kaum eine Rolle zu spielen.
Was heißt das für die Studienwahl?
Verstehen Sie sich selbst und machen Sie sich klar, wie Ihre Kommilitonen sind, bevor Sie sich in Bereiche begeben, die eher einen Haifischbeckencharakter haben. Natürlich ist nicht jeder niedrig verträgliche Mensch eine coole Socke, aber tendenziell wird er eher auch mal Kante zeigen. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken.
Gewissenhaftigkeit: Psychologen sind mittelgenau, Geisteswissenschaftler ziemlich flexibel…
Gibt es Fächer für Strukturierte und Perfektionisten? Eher nein. Gewissenhaftigkeit ist überwiegend unspezifisch, meist finden sich mittlere Werte. Allerdings gibt es Ausnahmen. Lassen wir die Studie sprechen: “Arts and Humanities scored consistently lower than other academic majors, and medium effect sizes were found in comparisons with Sciences, Law, Economics, Engineering, Medicine, and Psychology.”
Was heißt das für die Studienwahl?
In dem Fall wirklich nichts. Ich würde allerdings behaupten, dass Gewissenhaftigkeit für die spätere Berufswahl hochrelevant ist. Wenig gewissenhafte Menschen sind oft sehr flexible, spontan und können unheimlich leistungsfähig sein, wenn sie intelligent und motiviert sind. Sie sind höchstwahrscheinlich besser in kreativen Feldern. Die beiden Nerds auf dem Foto könnten so sein.
Zusammenfassung:
Apropos Nerds:Spaß beim Studium ist so wichtig, wie Spaß bei der Arbeit. Niemand sollte etwas machen, was ihm oder ihr gar nicht liegt. Es ist also völlig okay, wenn Studienwahl und Persönlichkeit hängen eng zusammenhängen.Am Ende ist es eher kontraproduktiv, sich aus Vernunftgründen irgendwo durchzuquälen. Ich habe viele solcher Fälle, die zum Beispiel BWL statt Soziologie wählten und damit kreuzunglücklich waren (weil sie nämlich eine hohe Offenheit hatten). Am Ende verbessert das nicht die Ausgangslage, sondern verschlechtert sie. Denn auch im Job kommt man wieder mit Persönlichkeiten zusammen, die durch ihr Studienfach geprägt sind.
Bezogen auf die Studie von Anna Veldel stellt sich die Frage: Könnten die gefundenen Unterschiede auch mit der geschlechtsspezifischen Studienwahl zu tun haben? Die Studienautorin Vedel glaubt das nicht. Einige Wissenschaftler, die Unterschiede in der Studienwahl untersucht haben, haben diese Frage einmal separat betrachtet und festgestellt, dass die Unterschiede auch dann bestehen blieben, wenn man den Faktor männlich oder weiblich berücksichtigt.
Führt es nicht zu einer Klischee-Studienwahl, wenn alle sich entsprechend ihrer Big Five orientieren, mögen Sie fragen. Sicher: Zudem ist unklar, wer Henne und Ei ist. Macht das Umfeld die Persönlichkeit oder suchen die Persönlichkeiten sich das Umfeld? Am Ende ist sicher beides der Fall: Die Persönlichkeit sucht, und das Umfeld prägt. Nicht zu vergessen, dass sich die Persönlichkeitseigenschaften bis zum Alter von 30 Jahren noch entscheidend ändern können. Meist bleiben sie aber über etwa fünf Jahre stabil. Das ist etwa so lange wie ein Studium dauert…
Die gesamte Studie von Anna Vedel “Big Five personality group differences across academic majors: A systematic review. Personality and Individual Differences” können Sie hier herunterladen.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
[…] ernsthaft mit Deinen Beweggründen auseinandersetzt, kann die Antwort Dir sehr viel über Dich – Deine Stärken, Deine Interessen und Deine Persönlichkeit – und damit auch über Deine Wünsche verraten. Folgst Du also Deinem eigenen Weg, machst Du […]
[…] sich Deine Persönlichkeit auf die Studienwahl auswirken kann, kannst Du hier im Detail […]