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Vorstellungsgespräch im Dunkeln oder: Wie Sie die Psycho-Mechanismen bei der Bewerberauswahl austricksen

Authentisch sein genügt, um im Vorstellungsgespräch zu punkten? Menschen funktionieren nach bestimmten Strickmustern, die bei allen ähnlich sind. Diese Strickmuster nennen sich „Bias“ oder „Heuristik“ und helfen dem Gehirn schneller zu arbeiten und Denk-Abkürzungen zu nehmen. Heute zeige ich Ihnen, wie Sie als Personaler und Bewerber das Wissen um diese Abkürzungen zum jeweils eigenen Vorteil nutzen können.
1. Halo-Effekt
Der Halo-Effekt besagt, dass wir uns vom ersten Schein und Anschein beeinflussen lassen, ob wir wollen oder nicht. Ein selbstsicher auftretender, gut aussehender Mensch wird selbst psychologisch geschulte Personaler um den Finger wickeln oder mindestens positiv stimmen. Weiterhin nehmen wir Gleichheit zu uns, auch in Outfit und Kleidung, positiv wahr.
Gut zu wissen für den Personaler: Ich frage mich, warum noch niemand auf die Idee gekommen ist, anonyme Vorstellungsgespräche zu veranstalten, z.B. hinter einer Wand oder im Dunkeln. Was bei Voice of Germany funktioniert, kann auch hier klappen: Das “hässliche” Entlein überzeugt durch seine guten Argumente und nicht durch den Schein.
Wichtig für Bewerber: Hübsch machen – und zwar umgebungs- und branchenspezifisch! Souverän auftreten (das kann man “faken”), raumgreifende Bewegungen üben, offenes Lächeln einstudieren. Und darauf hoffen, dass die Idee mit dem Vorstellungsgespräch im Dunkeln keine weiteren Kreise zieht.
2. Primacy-Bias
Aller Anfang wirkt am stärksten: Die ersten Worte und Sätze prägen sich viel besser ein als alles, was danach kommt. Deshalb trainiere ich mit meinen Kunden etwa im „Bewerbungs-Fit“ immer besonders intensiv die ersten Minuten.
Gut zu wissen für Personaler: Strukturierte Gespräche führen, Notizen machen. Vor allem aber vor dem Gespräch ganz klare Regeln für die Einstellung definieren. Am besten in Form von Wenn-dann-Regeln: Wenn der Bewerber A, B und C zu möglichst je 100% mitbringt, erhält er den Job.
Wichtig für Bewerber: Die erste Sätze und das Drumherum besonders trainieren. Aus der Präsentation Ihres Lebenslaufes können die allermeisten Bewerber viel mehr holen als nackte Informationen und Daten.
3. Regency Bias Auch das Ende hallt nach. Einen wirkungsvollen Abgang vergisst man nicht. Umgekehrt wird einem die schlaffe durchgeschwitzte Hand beim Handshaking am Ende irgendwie subtil beeinflussen…
Gut zu wissen für Personaler: Gut geschleimt oder nett geplaudert – das gibt keine Bonuspunkte, Sie sind ein Profi.
Wichtig für Bewerber: Beim Rausgehen nicht nachlassen. Fester Händedruck, offener Blick oder nette Worte zum Gespräch, dem Ambiente oder der Stelle oder auch nur ein „Ich bedanke mich für das professionelle Gespräch“ wirken nach.
4. Endowment Effekt
Dinge, die man nicht besitzt, sind attraktiver als solche, die man hat. Kaum besitzt man das Kleid, auf das man so lange scharf war, ist es auch schon wieder uninteressant. Hat man erst die 5.000 netto, die man so unbedingt wollte, sind sie quasi nichts mehr wert…
Wichtig für Personaler: Einerseits – ganz sicher haben viele Bewerber, die mehrere Angebote haben, oft auch interessantere Profile. Doch viele HRler reagieren hier nicht schnell genug. Und zack ist der Bewerber weg. Andrerseits – manchmal sind weniger begehrte Bewerber die besseren Mitarbeiter, siehe Halo.
Gut zu wissen für den Bewerber: Auch wenn Experten immer wieder raten, man solle nicht über andere Angebote sprechen – aus psychologischer Sicht macht man sich attraktiver, wer auch von anderen begehrt wird.
5. Verfügbarkeitsheuristik
Ihnen erscheint vertrauter, was Sie schon mal gehört haben und kennen. Medienberichte reichen dazu aus. Wenn Sie immer wieder über BMW lesen, werden Sie diese Firma als irgendwie wichtiger wahrnehmen als die Karl Müller KG. Deshalb bewerten Sie diese höher. So entstehen Arbeitgeberrankings.
Gut zu wissen für den Personaler: Ich beobachte, dass große Marken fast ausschließlich Mitarbeiter einladen, die auch bei Unternehmen gearbeitet haben, die man kennt. Doch mitunter hat ein Bewerber bei einer kleinen unbekannten Firma sehr viel mehr gelernt – fällt jedoch durchs Raster. Informieren Sie sich auch über Namen, die Ihnen nicht vertraut vorkommen, am besten vor dem Gespräch.
Wichtig für den Bewerber: Namedropping hilft. Streuen Sie Namen – das öffnet Ohren.
6. Ankereffekt
Die erst genannte Zahl gibt Orientierung für alles was folgt. Nenne ich also meinen Gehaltswunsch mit „100.000 EUR“, so wird sich mein Gesprächspartner daran orientieren.
Gut zu wissen für den Personaler: Eigentlich würde der Ankereffekt dafür sprechen Gehälter offenzulegen. Bewerber werden sich dann darauf einstellen. Versuchen Sie es mal.
Wichtig für Bewerber: Mit der genannten Summe ankern Sie diese auch. Große Korrekturen nach unten oder oben sind dann schwerer. Hierzu passt unser Kexpa-Bewerbungstraining, das auch einen Kurs über Vorstellungsgespräche enthält.
Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken abonnieren. Auf Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.
Vorstellungsgespräche im Dunkeln? Unvorstellbar, einen Bewerber in einem für ihn fremden Umfeld in solch eine Extremsituation zu bringen. Wenn Sie da mal nicht den einen oder anderen verspielten Personaler auf eine Idee gebracht haben …
also ich fänd das ja mal konsequent. Anonyme Bewerbung und dann bitte auch anonymes Vorstellungsgespräch 😉 LG Svenja Hofert
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