Was macht die Pandemie mit Ihnen? Was beobachten Sie in Ihrem direkten Umfeld, was im entfernteren? Wer schreitet souverän durch die Krise, wer verhält sich nervös oder labil? Bemerken Sie diese mitunter verwirrende Emotionalität?

Offensichtlich: Manch einen stürzt die Pandemie – oder ihre Folgen oder die Reaktionen darauf oder alles zusammen – in eine Art Wahn. Manche docken an an kruden Verschwörungstheorien, in denen beispielsweise Kinder in Kellern von Pizzerien festgehalten werden.

Nicht, dass Wahn generell schlimm ist (es sei denn er führt zu fremdschädigenden Verhalten).

Der Weg nach außen

Wahn kann gesund sein. Im Wahn befreie ich mich vom Zwang, einen Sinn finden zu müssen, irgendetwas und irgendwie sein zu müssen. Durch die Gemeinschaft Gleich-Wahngesinnter entsteht Verbindung.  Wahn lenkt ab. Man kommt, wenn man so will, von innen nach außen. Histrionische Persönlichkeitstendenzen können sich zeigen: Theatralisch, dramatisch, extravertiert-exaltiert. Manche kleben ihre Gedankenschnipsel aneinander und verstärken sie diffus. Es geht nicht um Wahrheit, es geht um Halt.

Der Weg nach innen

Andere gehen den Weg nach innen und finden dort nicht bewältigte Gegenwart und Vergangenheit. Selten habe ich so viele Menschen hinter Bildschirmen weinen sehen wie in den letzten Monaten. Nie habe ich eine derartige Unsicherheit gespürt, eine so geballte passive Aggressivität und auch Zerrissenheit.

Wahn-Sinn. Die Sinnfrage stellt sich anders, wenn man merkt, dass es keine Kontrolle gibt, sondern nur eine enttarnte und entlarvte Kontrollillusion.

Es gibt auch einen Zuwachs an Glück

Ehe eine falscher Eindruck entsteht: Es ist keinesfalls so, dass Krisen wie Corona nur ein Brennglas auf Schattenseiten sind. Sie können auch Dinge ans Licht bringen. Beispielsweise kann eine so extreme Situation Menschen (wieder) zusammenbringen. Sie kann mehr Tiefe in Beziehungen geben und den Ausschlag für eine stärkere Veränderung zum Positiven.

Das Brennglas, die Lupe zeigt immer das eine und das andere. Beiden gemeinsam ist eine krisenmäßig gesteigerte Neigung zu den Extremen.

Produktivität steigt, aber…

Fast alle Arbeitgeber berichten über mitunter überraschende Produktivitätssteigerungen durch Remote-Arbeit.  Sichtbar werden auf der digitalen Distanz im Marathon aber auch eine wachsende Hilflosigkeit in der Wahl der Kommunikationsmittel. Wie macht man besprechbar, was da passiert? In virtuellen Meetings, vor dem Computer, im Schattenbereich zwischen Arbeit und Privatleben?

Menschen brauchen Ventile: Tratsch, Small Talk, Sport, Feiern, Gespräche, Natur, gemeinsame Erlebnisse, Kunst, Musik – Kultur.

Alles wird mehr, nur Selbstverwirklichung weniger

Die Corona-Pandemie ist wie ein Brennglas auf wirtschaftliche, soziale und psychologische Tendenzen: Sie verstärkt, was vorher schon da war. Ängstliche werden noch ängstlicher. Bildungsferne noch Bildungsferner.

Einsame werden noch einsamer. Soziale Phobiker igeln sich endgültig ein. Aus manch depressiver Verstimmung wird eine handfeste Depression. Ängstlichkeit, Depressivität und Hoffnungslosigkeit sind so zeigt eine aktuelle Metastudie durch die Pandemie gestiegen. Selbstverwirklichung? Berufung?

Ein großes westliches Ideal liegt weitgehend in Trümmern. Dort wo man seine Berufung sah, herrscht jetzt eine Art Berufsverbot. Nicht mal mehr das Leistungsprinzip funktioniert noch. Fleiß bringt keinen Preis. Mut, etwa als Unternehmer alles auf eine Karte zu setzen, keinen Gewinn. Schon stellt der öffentliche Dienst fest, dass sich mehr Menschen bei ihm bewerben.

Wir hatten nie Kontrolle

Natürlich war die Zukunft auch vorher nicht sicher, hatten wir in Wahrheit nie die Kontrolle über irgendetwas.

Aber das konnte man gut ignorieren und sich das Narrativ von “du kannst alles, wenn du willst und dich anstrengst” erzählen. So lange alles beeinflussbar schien, war das ja auch glaubwürdig.

Sogar Expertenführung schien ausgedient, doch erlebt gerade ein Revival. Es führen die, die Sicherheit vermitteln, nur keine emotionale. Die Mahner, strenge Eltern, die an Vernunft appellieren und mit Sanktionen drohen. Es war schon immer so: Das führt zu Widerstand oder Anpassung, das bockige oder das angepasste Kind.

Hooked

Menschen können für sich und andere Verantwortung übernehmen, wenn sie sich selbst und ihre Bedürfnisse bewusst wahrnehmen. Wenn sie nicht in die eigenen Gedanken, in ihre eigene Hilfslosigkeit verwickelt sind. „Hooked“ nennt es die Akzeptanz-Commitment-Therapie. „Unhooked“ hat man die Wahl zur bewussten Entscheidung.

Doch Krisen sorgen für Regression, sie verwickeln, sie wickeln ein, bis zum Hals. Sie lassen Menschen in frühere Entwicklungsstufen zurückfallen, da wo sie verschmolzen sind mit Emotionen und eben nicht zu bewussten Entscheidungen in der Lage. Dann sind sie sehr leicht verführbar. Psychisch und politisch.

Die Starken haben die Verantwortung. Führungskräfte, Leader, Politiker, Personen mit und in der Öffentlichkeit, die Wege zeigen, Möglichkeiten und alternativen Sinn ohne Wahnsinn.

Zu den psychischen Folgen der Pandemie finden Sie hier eine aktuelle Metastudie.

Foto: Shutterstock

Zu dem Thema habe ich auch ein Video gedreht:

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert verbindet unterschiedliche Welten und Positionen. Dabei entwickelt sie neue und eigene Blickwinkel auf Themen rund um Wirtschaft, Arbeitswelt und Psychologie. Sie ist vielfache Buchautorin und schreibt hier unregelmäßig seit 2006. In erster Linie ist sie Ausbilderin und Geschäftsführerin ihrer Teamworks GTQ GmbH. Interessieren Sie sich für Ausbildungen in Teamentwicklung, Agilem Coaching und Organisationsgestaltung besuchen Sie Teamworks. Möchten Sie Svenja Hofert als Keynote Sprecherin gewinnen, geht es hier zur Buchung.

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