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Warum alle hellblaue Hemden tragen: Konformisten, Nonkonformisten und Kulturwandel durch Kleidung

Veröffentlicht: 30. April 2016Kategorien: Psychologie

Was tragen Sie im Job? Sind Sie immer gut gestylt? Bevorzugen Sie Designermarken – und welche? Haute Couture oder Esprit? Kors oder Comma? Legen Sie auf Outfit vielleicht gar keinen Wert, halten sie es für völlig nebensächlich? Soll Kleidung zum Beispiel einfach nur bequem sein oder Ihnen gefallen?

Sage mir, was du trägst und ich sage dir, wer du bist. Menschen kleiden sich wie ihre Peergroup, also die Menschen, mit denen sie arbeiten oder die in der gleichen Subkultur wie sie selbst verkehren. Da die meisten Menschen mehrere Peergroups haben, könnte sich die Kleiderordnung beruflich und privat aber unterscheiden. Dennoch sagt es etwas über jemand, wenn er sich einer Kleiderordnung unterwirft oder bewusst oder unbewusst gegen sie rebelliert. Wer sich nicht unterwirft, das wäre meine Hypothese, ist eigensinnig und damit weniger verträglich in den Big Five. Es ist ein Nonkonformist.

Nonkonformismus sieht unterschiedlich aus

Aber auch der Mann im Designermantel mit dem Massanzug und der großen Gucci-Tasche, den ich gestern am Flughafen Stuttgart sah, könnte eine gewisse nonkonformistische Ader haben. Er war in einer Gruppe deutlich schlechter gekleideter Herren unterwegs – „nur“ Boss -, möglicherweise waren es Berater. Die Überbetonung von Stil und Status deutet ebenso auf einen gewissen Eigensinn. Vor allem wenn die Peergroup eben anders ist. Wie bei den Stärken muss man hier auch relativ denken: Wie kleidet sich die Person im Vergleich zu ihrer Peergoup? Diese Peergroup kann sein: Das eigene Unternehmen auf Mitarbeiterebene oder das eigene Unternehmen auf Führungsebene. Bei letzterem gilt es dann noch zwischen unterem, mittlerem und oberen Management zu unterscheiden.

Persönlichkeitstest mit Kleidung?

Von Kleidung auf Menschen zu schließen ist ein gewagtes Unterfangen, denn natürlich sagen Klamotten nichts über die Qualifikation aus. Aber dafür viel über die Prägung, über Haltung, Glaubenssätze. Und auch über Motive und Antreiber, vor allem das Motiv „Status“. Menschen mit ausgeprägtem Status wollen sich herausheben, der Gucci-Mann dürfte so einer sein. Menschen ohne Statusstreben wollen sein wie die anderen. Aber Status ist nicht das einzige Motiv, dass die Kleidung beeinflusst. Auch Machtstreben hat mit Kleidung zu tun – und Unabhängigkeit. Unabhängige Menschen neigen dazu, ihr eigenes Ding zu machen, auch in Sachen Outfit. Oder sie gesellen sich zu anderen Unabhängigen, die gemeinsam ihren Nonkonformismus frönen. Mitunter in ähnlichem Stil.

Auch die Firmenkultur erschließt sich über Kleidung schnell. Es gibt beispielsweise Unternehmen, in denen ab Mittelmanagement alle die gleichen hellblauen Hemden tragen, von derselben Marke. Ohne diese Hemden würde man keine Karriere machen. Andere Unternehmen setzen abteilungsübergreifend auf das Jogi-Löw-Strenesse-Hemd. Wenn Sie zweifeln, weil Ihnen diese Dinge bisher nicht  bewusst geworden sind: Ich gelobe, das ist wirklich kein Scherz.

Kleidung ist ein Artefakt

Die Kleidung ist ein Artefakt im Sinne von Edgar E. Schein, dessen Organisationskulturebenenmodell ich diese Woche im Schwesterblog meines Unternehmens Teamworks Gesellschaft für Teamentwicklung und Qualifizierung vorgestellt habe. Sie manifestiert die Werte eines Unternehmens. Wenn alle die gleichen Hemden tragen und dies sogar hierarchiespezifisch ist, sagt das: Es geht um Anpassung. Im Markenbild der Firma wird allerdings stattdessen oft Bodenständigkeit oder auch Chancengleichheit verkauft. Die Artefakt-Übersetzung lautet aber anders. Wert und Artefakt klaffen auseinander. Etwas anderes wäre es, wenn in einer Schule alle die gleiche Uniform tragen. Damit werden Statusunterschiede nivelliert, auch das ist ein Artefakt. Hier aber stimmt er mit dem Wert überein. Das gilt auch, wenn private Schulen andere Uniformen haben wie öffentliche, wie etwa in Chile. Dann kommt zur Einheitlichkeit der Wert der Klassenabgrenzung dazu, fast schon Apartheid.

Jobverlust durch Kleidung

Ich habe Kunden beraten, die ihren Job aufgrund der Farbe ihres Autos (grün) verloren haben, oder weil sie nicht bereit waren, sich Kleidungsmäßig anzupassen. Natürlich sagt das niemand laut, aber es spielt immer eine Rolle. Als ich mich vor Jahren mit meinem grünen Rover auf den Parkplatz des CEOs stellte, fand man das nur lustig, weil ich eine Frau bin, die sich sehr naiv stellen kann, wenn es ihr gerade nützt. Dass ich Rover und jetzt Saab fahre, ersetzt aber auch jeden Stärkentest bzw. jede Persönlichkeitsanalyse. Ich bin eine angepasste Nonkonformistin. Ich spiele mit dem informellen Code auf meine Weise. Das ermöglicht mir den Zugang auch zu konservativen Unternehmen, die das Signal „ein bisschen anders, aber nicht völlig crazy“ unterschwellig wahrnehmen.

Mit dem Code brechen dürfen nur Freaks

Mit dem Code komplett brechen, dürfte vermutlich nicht mal ein Gunter Dueck, der für mich so etwas wie die Ikone nonkonformistischen Denkens ist. Ich stelle ihn mir in kurzen Hosten bei einer Rede vor. Nein, eher nicht denkbar. Kürzlich hatte ich einen Workshop mit Postdoktorandinnen. Sie erzählten mir, dass bei den Naturwissenschaftlern in den Fachbereiche Mathematik, Physik und Biologie manche Professoren auf Kongressen in kurzen Hosen auftauchen oder eine Kombination aus DocMartens und Anzugjacke wählen. Es sind unangepasste Nonkonformisten. Hätte ich Mathe studiert, hätte ich meine DocMartens aus den 1980ern also behalten. Aber für eine Bühnenkarriere wäre das kein guter Startpunkt…

Interessanterweise seien die Chemiker viel traditioneller in ihrem Kleidungsstil, berichtete man mir, was mich – Teil der Familie ist Chemikerlastig – nicht überrascht. Die Chemie zieht eher Konformisten an. Wer mir jetzt Vorurteile unterstellt, möge sich an eine Fakultät oder in eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung mit Chemikern begeben. Natürlich gibt es solche und solche, weil sich auch in einer Berufsgruppe verschiedene Subkulturen bilden, aber ganz eindeutig Tendenzen. Meine Hypothese ist, dass ein nonkonformistischer Denkstil auch nonkonformistische Kleiderordnungen erzeugt. Das Bunte im Kopf erzeugt Buntes im Büro.  Ein Wechsel der Umgebung kann natürlich schnell eine Veränderung erzeugen. Der Physiker oder Mathematiker, der in die Finanz- oder Versicherungsbranche geht, wird sich zwangsläufig einen Anzug zulegen müssen. Aber er wird ihn auch gern wieder ablegen. Insofern ändert er seine Persönlichkeit nicht radikal. Vermutlich wäre er nicht in ein solches Unternehmen gegangen, wenn er sehr nonkonformistisch wäre. Und schon haben wir eine Persönlichkeits-Umwelt-Korrelation.

Bin dann mal weg...Berufswahl mit Kleidung

Was bedeutet das für das Berufsleben, ja die Berufswahl? Wir können nicht wegreden, dass es einen ersten Eindruck gibt. Man nimmt Menschen über ihr Aussehen und ihre Kleidung wahr – wir assoziieren sofort Herkunft, Hierarchieebene, Berufsgruppe, ja sogar Großstadt oder Kleinstadt oder Dorf. Wer nicht bereit ist, sich Kleiderordnungen und informellen Dresscodes zu unterwerfen, sollte sich eine Branche und einen Beruf auswählen, in der eine bunte Kleiderwahl toleriert wird. Lehrer beispielsweise sind recht frei in ihrer Kleiderwahl. Schaue ich mich am Gymnasium meines Sohnes um, so finde ich dort vom grünen Schlabberpulli, der jeden Tag getragen wird, bis zum Blumenkleid viele Varianten. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das nur gut ist, der grüne Pullover ist irgendwie auch kein gutes Vorbild. Und passt das zu einer Schule, die auf das Berufsleben vorbereiten soll? Eher leger ist oft auch der Dresscode in Startups.

Doppelreiher ausziehen?

Scanne ich dagegen gedanklich Hamburger Traditionsunternehmen, so sehe ich dort einige Doppelreiher vor mir, die höhere Hierarchie kennzeichnen. Und nun stellen Sie sich vor, die Herren aus der Geschäftsführung ziehen ihren Doppelreiher aus und ersetzen ihn durch Ökoshirt und Sneaker (entscheidend bei näherer Betrachtung, welcher Marke). Die Belegschaft wäre verwirrt, es gäbe Unruhe, Revolte. Es könnte sein, dass plötzlich die Puppen auf dem Dach tanzen. Vor allem, wenn sonst alles gleich bliebe, also Command and Order mit straffem Durchdelegieren weiter der vorherrschende Führungsstil bliebe. Die Herren, und das sind sie ja nun mal überwiegend – passende Damen tragen dunkelblaues Kostüm oder eine graue bzw. cremefarbene Kombi – würden Akzeptanzprobleme bekommen. Mit der neuen Kleidung verzichteten sie ja auch auf die Etiketten ihrer Macht. Sie legen sozusagen ihren Offiziersstern ab.

Wenn sich auch die Organisation änderte und der Führungsstil wandelte, wenn neue Werte  wie „Kooperation“ und „hierarchiefreier Ideenaustausch“ wirklich gelebt würden, würden die Mitarbeiter ebenso verwirrt sein. Aber es würden sich eben Werte UND Artefakte wandeln. Und dann könnte es passieren, dass nach längerer Zeit der Unruhe, einer vermutlich steigenden Fluktuation und erheblichem Widerstand, sich am Ende wirklich etwas nachhaltig ändert. Und Schuld ist nur die Kleidung.

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

8 Kommentare

  1. Markus Väth 30. April 2016 at 11:54 - Antworten

    Es gibt noch eine Ausnahme vom Dresscode: Leute, die ihr Aussehen ganz bewusst zur Marke machen, zum Beispiel Sascha Lobo. Da ist ein markantes, manchmal freakiges Aussehen gewollt.

    Übrigens auch spannend: Manchmal mache ich Kulturworkshops mit Unternehmen (nach dem Schein-Modell, daher finde ich die “Artefakte” gut 🙂 ), bei denen man schließlich den unterbewussten Unternehmenswert ausgräbt: “Kompetenz wird bei uns nicht mit Kleidung verbunden.” Von da kann man dann starten, um ganz bewusst einen neuen Dresscode zu entwickeln (wenn man das will).

    • Svenja Hofert 4. Mai 2016 at 22:52 - Antworten

      Ja, das ist ein sehr interessantes Thema und Veränderung über Kleidung durchaus interessant. Ob sie nachhaltig wäre? Müsste man mal versuchen in einem Langzeitexperiment. LG SH

  2. Ute Flockenhaus 30. April 2016 at 20:17 - Antworten

    Ein super spannendes Thema. Kleidung ist nicht beliebig, sondern Manifestation einer wertebasierten Haltung. Ich könnte mir vorstellen, dass man auf Unternehmensebene wunderbar damit spielen kann. Was passiert, wenn die Mitarbeiter in die Klamotten der Chefs und vice versa schlüpfen? Was drückt ein Unternehmen aus, das seine Mitarbeiter z. B. auf Messen mit einheitlichen Blusen/Hemden ausstaffiert. Das letzte Mal aufgefallen ist mir das bei Sixt. Der einheitliche Look der Servicekräfte mit Schluppenbluse und Weste will so gar nicht zu dem frechen Werbeauftritt passen. Freue mich darauf, mehr darüber zu lesen. LG, Ute Flockenhaus

    • Svenja Hofert 4. Mai 2016 at 22:43 - Antworten

      Liebe Frau Flockenhaus,
      das wäre eine gute Idee, ein Tag Outfittausch. Die agilen könnten mal auf konventionell machen und so weiter. Jedenfalls sehr interessant zum Einbau in Trainingskonzepte. LG SH

  3. Heiko Hoeppener 2. Mai 2016 at 15:57 - Antworten

    In der Tat ein spannendes Thema Frau Hofert!
    In Bezug auf die Big Five und den Faktor Verträglichkeit würde ich Ihre Hypothese zumindest für die Facette Konfliktbereitschaft unterstützen.
    Wenn ich ganz allgemein die KandidatInnen mit niedrigen Verträglichkeitswerten aus der jüngsten Vergangenheit gedanklich durchgehe, kann ich allerdings nicht bestätigen, dass da auch nur eine/r „unkonventionell“ gekleidet war. Aber vielleicht habe ich auf dem modischen Auge auch einen blinden Fleck 😉

    • Svenja Hofert 4. Mai 2016 at 22:40 - Antworten

      Hallo Herr Hoeppener, kann ja auch sein, dass Hypothesen falsch sind. Vielleicht sollten wir Sie mal überprüfen? Und was ist unkonventionell? Das kleine Karo zum Großen oder die Gummstiefel zum Minirock? Möglicherweise fällt das Unkonventionelle gar nicht jedem auf, weil es zu dezent ist 😉 liebe Grüße Svenja Hofert

  4. Gerhard Evers 5. Mai 2016 at 16:16 - Antworten

    Hmmmm, sehr interessant. Jetzt frage ich mich allerdings wie ich mich in 20 Jahren als CEO verortet hatte. Fast alle meinen Hemden waren irgendwie blau oder weiss. Passend zu meinen 20 Anzügen. Meine Frau meinte, das wäre besser für mich, da ich so nicht viel falsch machen könnte, da sie ja nicht immer aufpassen könnte. Das hat mir sehr eingeleuchtet. Eine Herausforderung weniger :-))). Das nenne ich hilfreiche Führung und Entkomplizierung.

    • Horst Engel 7. November 2016 at 0:15 - Antworten

      Wenn ich auf mein Berufsleben zurückblicke, habe ich kleidungstechnisch eigentlich vieles gewagt. Anzüge von Grau über Blau bis zu Kombinationen mit knallgelben, grünen und roten Jackets. Hemden gerne im Mainstream-weiss und blau, aber gerne auch auffälliges. Es hat weder genützt oder geschadet und ob es tatsächlich über den Charakter eines Menschen etwas aussagt? Mittlerweile glaube ich das nicht mehr. Vor 10-20 Jahren hätte ich das noch eher unterschrieben. Blaues Hemd = konservativ, gelbes Sakko = nonkonkonformistisch? Was strahlt mehr Kompetenz aus? Sind solcher Fragestellungen noch immer wichtig? Modetechnisch habe ich mich immer selbst beraten. Größere Katastrophen sind, glaube ich, ausgeblieben.

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