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Warum Persönliches ins Arbeitsleben gehört und wie Unternehmen eine Reflexionskultur schaffen

Veröffentlicht: 13. Juli 2018Kategorien: Mindset und Entwicklung, Psychologie

Ihre Kollegen, Mitarbeiter, Chefs verhalten sich seltsam? Sie folgen irrationalen Überzeugungen, lassen sich nicht aufeinander ein, übernehmen keine Verantwortung, wiederholen seltsam eingefahrene Muster wieder und wieder? Und vor allem: Merken es nicht? Die Ursache liegt immer in den Prägungen durch das Umfeld.

Schauen wir uns Thomas an: Der Geschäftsführer eines Startups dreht jeden Euro zehn Mal um. Bloß kein Risiko! In einem Kneipengespräch kommt raus: Seine Eltern, einst reiche Bauern, hatten im Krieg alles verloren. Die Verlustangst sitzt tief. Fritz, der IT-Experte redet ohne Punkt und Komma auf andere ein, stresst seine Kollegen. die aus Höflichkeit nichts sagen. Nach drei Bier erfährt ein Kollege, dass Fritz Angst vor direkten Rückmeldungen hat. Da redet er lieber.

Wir alle sind Produkte früher Umfelder und Prägungen.

Eine Trennung des Lebens in Arbeit und Privat ist künstlich und willkürlich. Es gibt keine Linie dazwischen, alles fließt. Der Underdog ist im Beruf vielleicht ein Macho – die Energie splittet sich in zwei Extreme. Auch Vergangenheit und Gegenwart lassen sich nicht trennen. Jeder Mensch ist ein Ergebnis der Art und Weise, wie er seine Vergangenheit sieht, deutet und bewältigt hat. Also ein Ergebnis des eigenen Narrativs, in dem unglaubliches Gestaltungspotenzial liegt….

Das kindliche Gefühlsleben und die Familienkonstellation tragen wir nicht nur in die Partnerschaft, sondern auch ins Arbeitsleben. Im beruflichen Verhalten spiegeln sich frühe Erlebnisse und die damit verknüpften Gefühle. Nur dass jetzt andere Worte Konflikte schürfen, Fronten schaffen oder Interaktionsmuster begleiten.  Die vielen Worte verbinden sich mit wenigen Grundgefühlen Freude, Liebe/Lust, Neugier/Interesse, Trauer, Wut und Angst, die wie emotionale Markierungen mit den Erlebnissen im Unbewussten verknüpft sind.

Der Mensch in der Arbeitswelt ist ganz und nicht Teil.

Ich komme immer mehr u zu dem Schluss, dass eine ganzheitliche, holistische Betrachtung des Menschen in der Arbeitswelt nicht umhinkommt, dessen Prägung miteinzzubeiehen. Es muss persönlich werden, damit Veränderungen möglich werden. Viel ist derzeit von Glück im Sinne der positiven Psychologie die Rede. Vom Sinn des Lebens, dem Purpose oder dem Ikigai. All das kann nur gefunden werden, wenn wir “ganz” geworden sind. Deshalb müssen wir Menschen ein Recht auf Persönlichkeitsbildung auch im Beruf gewähren.

Fast niemand redet über die Voraussetzungen, die das glückliche und das sinnvolle Leben braucht: das Empfinden von „das bin ich“, Identität, Selbstliebe. Der Teamgedanke, Kollaboration zieht weite Kreise. Wir entdecken den Menschen als Sozialwesen wieder. Doch gerade in der Gruppe braucht ein Mensch eigene Identitätsgrenzen, sonst geht er in der Masse auf und folgt dem Extrem-Charakter, der sich leicht von ihr abspaltet und ihr vorausgeht. Das macht das Thema Persönlichkeitsbildung in der digitalisierten Arbeitswelt noch mal wichtiger.

Jede Familie hat ein Motto und Themen, die wir in den Beruf mitnehmen

Wer bin ich im Unterschied zu den anderen? Das lernen wir in der Familie, und nehmen es mit. Familien folgen gewöhnlich einem Motto, sie haben ihre Themen, die manchmal von Generation zu Generation wandern.  Jedes Mitglied nimmt eine Rolle an, die seinen Anlagen entspricht oder vielleicht auch einfach durch zufällige Konstellation„entsteht“. Da ist die Kassandra, der Analytiker, die Schöne, der Pragmatiker. In der Arbeit mit Klienten sehe ich immer wieder wie wichtig es ist, die Familienkonstellation zu kennen. Wenn der Bruder weltweit bekannter Professor geworden ist und man selbst „nur“ Ingenieur, das Motto der Familie aber „Ansehen durch wissenschaftliche Leistung“ war, erklären sich berufliche und persönliche Probleme oft aus einer solchen Konstellation.

Der Individualpsychologe Alfred Adler, ein Zeitgenosse Sigmunds Freuds, der sich später von ihm distanzierte, schrieb dazu:

„Wo immer ich mich mit Erwachsenen beschäftigt habe, stoße ich auf überdauernd Einflüsse aus der frühen Kindheit. Die Position der Familie prägt den Lebensstil unerlöschlich. Alle Entwicklungsschwierigkeiten entstehen durch Rivalität und fehlende Kooperation.“

Kooperationsfähig ist nur der psychisch heile Mensch

Der Gedanke Adlers ist für mich in der angebrochenen Wir-Zeit wieder sehr modern. Es geht um Kooperation. Kooperationsfähig ist nur der psychisch heile Mensch. Fehlt die bewusste Auseinandersetzung mit dem Familiensystem, und das ist der Normalfall, wird man in der Arbeitswelt und der Partnerschaft unbewusste Deja-Vus produzieren und sich nicht wirksam mit Konflikten auseinandersetzen können. Eine auf Verantwortung und innere Freiheit, intrinsische Motivation und Selbstentwicklung ausgerichtete Arbeitswelt, fordert das aber.

So entstehen eingefahrene Verhaltensweisen und damit berufliche Entwicklungshindernisse: Wer im Job keine Kritik annehmen kann, zeigt damit auch auf eine Entwicklungsschwierigkeit, die frühe Wurzeln hat. Wenn ein Kind die Streitereien der Eltern nur durch tiefes Versinken in Detailarbeit ertrug, ist er heute vielleicht der penible Kleinkrämer, der sich durch nichts aus der Fassung bringen lässt. Doch unter der äußeren Coolness liegt innere Sensibilität. So wie jede extreme Eigenschaft eine andere verdeckt, die nichtsdestotrotz da ist.

Wir brauchen round und nicht flat characters

Das Expertentum der alten Arbeitswelt erlaubte „eindimensionale“ Flat Characters. Die neue Arbeitswelt fordert in wesentlichen Teilen aber „round characters“, also Menschen, die sich wandeln können. Und der Schlüssel liegt immer in der Vergangenheit. Dort sind die Grundannahmen des Lebens, die uns steuern. Wenn wir sie sichtbar machen, können wir sie leichter steuern.

C.G. Jung sprach von Schatten. Sie verdunkeln das Leben, aber machen es auch möglich, Verdrängungen sind bis zu einem bestimmten Punkt auch wirksam. Besonders begabte Menschen haben fast immer einen größeren Schatten. Sie laufen vor etwas weg und zugleich darauf zu. Diejenigen, die sich nicht verrennen, haben irgendwann Erkenntnisse, die weit über den eigenen Arbeitsbereich hinaus gehen. Ich denke da an Einstein, der sich selbst als Spätzünder bezeichnete, aber zu einem der größten Weisheits-Zitate-Lieferanten außerhalb der Physik wurde.

Narzissten sind nur Schatten, auch wenn sie wie Sonne wirken

Manche bestehen nur aus Schatten. Sie sehen nichts, was ihr eigenes Handeln betrifft. Narzissten, in der Arbeitswelt oft erfolgreich. haben keinen inneren Kern ausbilden können. Sie sind innen hohl. Deshalb saugen sie Licht immer da, wo die Sonne der anderen ist. Selbstreflexion wird ihnen nur schwer gelingen. Persönliches besprechen mit angemessener Tiefe – mit einem Narzissten unmöglich, er wird an der Oberfläche bleiben. Aber die, die mit ihnen arbeiten werden ihn leichter erkennen, wenn sie genau diesen Mechanismus von Persönlichkeit durchschauen.

Persönlichkeitsentwicklung zieht den Wunsch nach “mehr” nach sich – ein Risiko für Unternehmen

Je bewusster einem diese Prägungen sind, je mehr man sichtbar macht, desto verantwortungsvoller wird der Umfang mit sich selbst und anderen werden. Neue Schritte, die für unmöglich gehalten worden sind, werden dann möglich. Das ist für Unternehmen ein Risiko. Halten Sie Menschen in sich gefangen, so halten sie sie auch im doppelten Sinn „auf der Stelle“. Fördern sie Persönlichkeitsentwicklung, so fördern sie auch den Wunsch nach mehr. Das ist so wie mit Bildung. Wer ihre Kraft erlebt hat, wird nicht aufhören, sich weiterzubilden.

Jeder, der eine Krise überwunden hat, weiß wie unglaublich viel besser es einem danach geht. Wer die Vergangenheit sehen und beschreiben kann, kann die Zukunft gestalten.

Zur Ausgangsfrage: Ich bin überzeugt, dass Reflexion der Schlüssel für die Bewältigung künftiger Aufgaben ist. Wir halten uns an persönlichen Befindlichkeiten auf anstatt Mehrwert für andere zu stiften, so lange wir nicht „heil“ sind und die Schatten uns einschränken. Gerade Führungskräfte haben noch mal mehr Verantwortung sich der eigenen Muster klarzuwerden. Sie können eine Kultur etablieren, in der Persönliches Platz haben darf. Sie können Reflexion fördern, indem sie durch Vorbild anregen.

Ich erlebe vor allem Familienunternehmen, die diesem Thema offen gegenüberstehen. Damit über Persönliches geredet werden kann, braucht es Vertrauen. Es darf niemals ausgenutzt werden, was ich über jemand erfahre. Das braucht eine überaus reife und reflektierte Kultur.

Hier ein paar Tipps für meine Leser aus Coaching und Führung:

  • Reflexion erfordert psychische Stabilität. Es gibt verschiedene Methoden, diese zu erfühlen, zu erfragen und erarbeiten. Das ist u.a. Teil meines Seminares “Psychologie für…”
  • Der erste Schritt ist der Aufbau einer Vertrauenskultur. Mit persönlichen Themen kann man nicht in einer dysfunktionalen Struktur arbeiten. Deshalb wäre für uns bei Teamworks der erste Schritt die Arbeit mit den Funktionen und Dysfunktionen.
  • Der zweite Schritt wäre ein “Erkenne dich selbst”: Wie ticke ich, wie du? Dabei helfen mein StärkenNavigator oder auch Tests wie MBTI, die allerdings eingebettet sein sollten in einen Prozess und nicht losgelöst als 2-Tages-Seminar mal eingeschoben.
  • Ein dritter, fortgeschrittener Schritt könnten die Grundformen der Angst nach Fritz Riemann sein (hier ein Beitrag von mir dazu). Sie helfen sich bewusst zu machen, dass jeder von Tendenzen hat, die ab einem von der ICD-10 oder DMS-5 durchaus willkürlich definierten Punkt “krankhaft” werden. Um damit produktiv und nicht nur an der Oberfläche zu arbeiten braucht es ein fortgeschrittenes Reflexions-Level und ein gewisser Weise auch ein spirituelles Bewusstsein.
  • Eine Lösung für Unternehmen ohne ausgesprochene Reflexionskultur können interne Coaches sein, die ganzheitlich coachen können und wollen. Das bedeutet sie brauchen nicht nur systemisches, sondern auch psychologisches Know-how. Ich persönlich bei ein Fan unterschiedlicher Brillen und der Verknüpfung von Ansätzen gerade im Organisationskontext. Wer sich z.B. nur in Transaktionsanalyse ausbildet, sieht oft andere, ebenso relevante Aspekte nicht (mehr). Spezialisierung macht für Therapeuten Sinn, für Coaches meiner Meinung nach weniger.
  • Coaches müssen diese Grenzen zur Therapie halten und erkennen können. Auch dafür brauchen sie psychologisches Basiswissen. Der Heilpraktiker Psychotherapie ist da hilfreich, aber nicht ausreichend, da rein fachlich. Ob jemand coachbar ist, erkennt man z.B. an seiner Gefühlsbilanz. Das Vertrauensverhältnissollte vertraglich abgesichert sein. Das ist unter anderem Thema von unserem Kurs Psychologie-Grundlagen.
  • Um persönlich zu werden braucht es immer eine Erlaubnis. Das bedeutet, Sie müssen fragen, ob Sie eine persönliche Beobachtung schildern dürfen. Hilfreich sind für Betroffene oft Beispiele. Ich erzähle viele Geschichten, in denen andere sich wiedererkennen, obwohl es nicht ihre sind. Die Nähe zum eigenen Erleben öffnet jedoch für das eigene Erzählen.

Beitragsfoto: David W / photocase.com

 

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

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