Gefühle sind menschlich. Doch was sind sie überhaupt? Das wird von KI vielleicht gerade deswegen nicht richtig verstanden. Wie auch, wenn selbst wir nicht genau wissen, was Gefühle eigentlich ausmacht! Und warum und wie wir sie bei Veränderung brauchen.

Die Bedeutung von Gefühlen in der Transformation der Systeme wird unterschätzt. Wir wollen sachlich sein und rational. Aber das Gegenteil passiert: Es wird immer unsachlicher. Wir rationalisieren alles weg, nur damit unsere Gefühlswelt in Balance bleibt. Rationalisieren heißt: Wir suchen Worte, die zu unseren Gefühlen passen. Wir bauen darauf Argumente, die sich einfügen in unsere emotionale Welt.

Wir suchen Worte, die zu unseren Gefühlen passen. Svenja Hofert

Die BWL träumte lange vom Homo oeconomicus. Diese Fantasie des rationalen und berechenbaren Nutzenmaximierer war immer schon genau das: Eine Fantasie. Doch warum halten Menschen nur an Fantasien und irrationalen Überzeugungen fest? Wie kann es sein, dass sie dabei so offensichtlich auch gegen ihren eigenen Vorteil und Nutzen handeln?

Die vergebliche Suche nach dem Rationalen

Die Psychologie beschäftigt sich erst mit Gefühlen, seitdem uns die Neurowissenschaften einen neuen Zugang gegeben haben. Mit Emotionsforschung war lange keine Karriere zu machen. Die Neurowelle hat das verändert.  So kommt es, dass wir erst in letzter Zeit mit dem Kern der Gefühle in Berührung kommen. Und so langsam verstehen, dass wir wenig darüber wissen.

In der Corona-Pandemie schien das Gefühl im Berufsalltag angekommen zu sein. Man sprach über das, was einen bewegt. Gerade scheint das wieder im Rückbau begriffen. Zu viel Gefühl… Die Menschen können es nicht regulieren. Aller Achtsamkeit zum Trotz sind sie von sich selbst überfordert. Und den immer anspruchsvolleren und widersprüchlicheren Erwartungen.

Bei aller Gefühlsduselei bleibt ein wichtiger Aspekt oft unbeachtet: Das Streben nach dem Erhalt dessen, was ist. Selbst, wenn es nicht gut ist. Wenn wir uns verändern, gerät unsere Gefühlswelt in Wallung, es geht drunter und drüber. Gefühle sind geeignet, sicher geglaubte Gedankengebäude zum Einsturz bringen.  Das Streben, genau das zu vermeiden, ist ganz natürlich. Denn vor der Dysbalance widerstreitender Gefühle haben wir Angst… wenn wir sie denn überhaupt fühlen und benennen können.

Alles beginnt mit einem Gefühl

“Ich weiß gar nicht, wie sich Angst anfühlt”, sagte mir einer meiner Coachees. Er ist im Homo Oeconomicus-Glauben sozialisiert, ein Informatiker. Er hat keine Geschichte zu diesem Gefühl im Berufsalltag. Das liegt daran, dass er noch nie darüber nachgedacht hat. Wo keine Gedanken, da auch kein Gefühl. Da sind wir abgeschnitten von unserem Körper.  Gedanken verbinden Körper und Geist, ebenso wie sie trennen. Denn Gedanken haben eine ganz andere Funktion als viele glauben: Sie bringen Körper und Geist zusammen.

In der Psychologie unterscheiden wir Gefühle und Emotionen. Gefühle sind subjektive Eindrücke. Emotionen sind übergreifend, übersubjektiv. Viele haben versucht, Gefühle zu verallgemeinern und allgemeine Emotionen zu orten. Paul Ekman hat es damit bis in die Praxis der Coachingausbildung und in die Alorithmen der Computer geschafft. Er versuchte in Experimenten mit Schauspielern nachzuweisen, dass es kulturübergreifende Emotionen gäbe. Seine Annahme also war, dass das Gefühl stünde den Menschen ins Gesicht geschrieben wäre. Darauf bauen nicht wenige immer noch. Selbst KI-Algorithmen beruhen darauf. „Affective Computing“ (auch „Emotion-AI“) nutzt im Auftrag der Bundesregierung Ekmans Modell. Ein Modell, das offensichtlich auf einer falschen Grundannahme beruht.

Gefühle sind nur im Kontext zu verstehen

Die Neurowissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett wiederholte einige von Paul Ekmans Experimenten aus den 1970er und 1980er Jahren. Sie konnte seine Ergebnisse nicht reproduzieren. So zeigte sie zurückgezogen lebenden Stämmen ein Bild einer im westlichen Sinn überraschten Person. Da sagten einige ihrer Probanden: „Der Mann jagt.“ Manche von Feldtman-Baretts Probanden konnten auch Trauer nicht von Freude unterscheiden. So kam die Forscherin immer mehr zu ihren eigenen Schlüssen:

  • Gefühle sind nur im Kontext zu verstehen. Das meint den kulturellen Kontext genauso wie den persönlichen.
  • Es sind individuelle Vorahnungen, die auf Erfahrung beruhen.
  • Durch Sprache verändern sich Gefühle. Sie differenzieren sich aus.
  • Körper und Sprache können sich emotional verbinden, müssen es aber nicht.

Feldtman-Barett brachte Forscher und Praktiker in aller Welt aus dem bisherigen Konzept – und deren Emotionen in Wallung. Ihr Buch “How emotions are made” aus dem Jahr 2018 sorgte für einen Knall. Erst in diesem Jahr, 2023 ,wurde es ins Deutsche übertragen.

Mit ihren Forschungen stellt sie nicht nur Ekman in Frage, sondern auch sämtliche vorherigen Verallgemeinerungsversuche. Es passt zu weiteren Forschungsergebnissen der aktuellen Zeit, etwa des Neurowissenschaftlers John Bargh, der sagt: „Das Fühlen kommt vor dem Denken“. Auch das eine noch recht junge neurobiologische Erkenntnis. Diese stellt einige andere in Frage, auf denen wir teils unsere Workshop- und Trainingskonzepte bauen.

Workshop- und Trainingskonzepte bauen auf veraltetem Wissen

Weil wir schon Erfahrungen gemacht haben, vermuten wir in ähnlichen Situationen, erneut Ähnliches zu fühlen. Dabei greifen wir nicht allein auf die Reaktionen unseres Körpers zurück, sondern auch auf unsere Sprache. Wir haben Worte oder wir haben sie (noch) nicht. Deshalb kennt mein Coaches keine Angst. Sie ist bei ihm nicht kontextualisiert. Er hat keine Angst-Geschichte, jedenfalls nicht im beruflichen Kontext. Das hat sich übrigens inzwischen geändert. Allein Aufmerksamkeit schafft Erleben. Und das ist wichtig für Veränderung. Sprache erschafft Wirklichkeit.

Positive und negative Affekte liegen nah beieinander

Schaue dir das Bild an, das Anstrengung beim Öffnen einer Flasche zeigen soll.

Wie auch das Beitragsfoto habe ich es mit KI gepromptet. Ich finde, das entstandene Bild ist krass, denn es zeigt merkwürdig überzogen, was ich darstellen möchte: Wenn wir uns anstrengen, sind unsere Gefühle einfach nicht zu deuten. Zwischen Wut und Freude (im letzten Bild) liegen Facetten. Aber was genau, ist völlig unklar.

Das zeigt nicht nur eindrücklich, dass KI unklare Gefühlslagen besser interpretiert als wir selbst. Und es verdeutlicht, dass wir bei Anstrengung negative Affekte durchlaufen, wie auch immer wir sie dann nennen. Und trotzdem stellen wir uns dieser Anstrengung. Die Theorie, dass wir negative Emotionen vermeiden wollen, kann also nicht stimmen.

Ist positiv und negativ überhaupt zu trennen? Zeigt das letzte Bild die pure Freude oder nicht irgendwo auch Siegeswut? KI jedenfalls liefert in ihrer Deutungsschwierigkeit aus meiner Sicht eine kunstvolle Neudeutung. Sie macht den Grundkonflikt offenbar. Sie zeigt Uneindeutigkeit.

Uneindeutige Gefühle sind normal.

Was ist es? Uneindeutige und widerstreitende Gefühle begleiten Anstrengung, aber auch Veränderung. Wir aber setzen immer noch auf einen simplen, ja primitiven Positivismus. Veränderung soll bejubelt werden. Wir sollen uns dahinter stellen. Begeistert in die Zukunft schauen. Aber wir Menschen sind zukunftsblind! Wir sehen keine Zukunft, also bleiben wir bei dem was ist und widmen uns überschaubaren Projekten wie dem Öffnen einer Flasche. Da wissen wir, was rauskommt. Selbst, wenn es um Veränderung in Richtung etwas offensichtlich Positivem geht meiden wir den Weg dahin.

Ein Grund ist möglicherweise, dass wir zu sehr auf positive, eindeutige Gefühle hoffen. Das könnte mit den Narrativen von Veränderung zu tun haben, die uns geprägt haben. Was wäre, wenn wir mit den uneindeutigen, widersprüchlichen Gefühle rechnen würden? Denn selten haben wir nur Angst oder spüren nur Freude. Meist ist es diffus. Erst recht, wenn wir Dinge neu lernen, erfahren, etwas verändern. „Was spürst du? Ich weiß es nicht!“

Das Suchen nach einem Namen, nach einer Repräsentanz im Körper kann helfen. Manchmal kommt das Gefühl aber auch an ganz anderer Stelle raus. Wer Meditationserfahrung hat, kennt es: Da kommen plötzlich Tränen hoch, man weiß nicht, warum – und erst da wird die Trauer fassbar, aber auch die Freude. Und so klar, dass sie zusammenhängen.

Veränderung – die Krise des Bauchgefühls

Auch Bauchgefühle sind Vorahnungen, wenn man Feldtman-Baretts Theorie folgt. Sie dienen dazu, uns in Sicherheit zu wiegen. Sie halten uns im Vertrauten, das ist ihr Sinn und Zweck. Bauchgefühle beziehen sich nicht auf etwas, was wir noch nicht kennen, deshalb fühlt sich Neues immer fremd an – bis wir das Vertraute darin gefunden haben.

Veränderung ist so nicht zuletzt oft auch die Krise des Bauchgefühls. „Frau Hofert, kann das wirklich wahr sein? Kann es wirklich wahr sein, dass ich all die Jahre ein falsches Bauchgefühl hatte?“ Es war kein falsches Gefühl. Es fehlte nur ein passender Gedanke.

In meinen fast 25 Jahren als Coach habe ich immer wieder erlebt, dass der Umgang mit widersprüchlichen Gefühlen entscheidend für einen entspannten Umgang mit Veränderungen ist. Viele suchen nach dem Glücksgefühl, nach Eindeutigkeit, ungetrübter Klarheit. Doch Klarheit ist in eine Folge vorherigen Ringens, auch des Ringens von Gefühlen. In der Arbeit mit Organisationen habe ich das auch so erlebt: Das Neue ist wie eine Geburt, das Aufdrehen einer Flasche in Groß. Es braucht die kleine und große Krise. Das ist das Wesen von Veränderung. Deshalb hat es so viele Feinde, die sie vordergründig bejubeln.

Das Fühlen braucht das Denken

Jeder Gedanke, der unsere innere Welt formt und gestaltet, beginnt mit einem subjektiven Fühlen. Aber das ist es nicht allein. Es braucht das Denken. Wenn wir Fühlen und Denken zusammenbringen, können wir nicht nur unsere Sprache differenzieren, sondern auch unsere Gefühle. Wie können selbst Widersprüche atmen lassen. Und sie genießen.

 

Dieser Beitrag beruht auf meiner Kolumne Nr. 1 von Weiterdenken, die ich kürzlich aktualisiert habe. Im Anschluss zeige ich noch weitere Bilder, die KI mit meinen Prompte erstellt hat. Ich wollte 4-teilige Bilder, die zeigen, wie KI menschliche Gefühle aufnimmt, erst missversteht und dann versteht.

 

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

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