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Wie Emotionen wirklich gemacht sind und wie sie Entwicklung treiben

Veröffentlicht: 20. April 2019Kategorien: Psychologie

Emotionen sind Entwicklungstreiber. Und damit ein zentrales Thema für die Veränderung der Arbeitswelt. Vielleicht in Deutschland noch viel mehr als in anderen Ländern, denn wir haben eine Kultur der emotionalen Zurückhaltung. Wir verschanzen uns hinter Expertise. Viele Menschen sind mit ihrem Wissen verbunden als wären sie das Wissen selbst. Es ist für sie Identitätsbildend gewesen. Es verleiht Identität “ich bin wer”. Sie schützt vor den Widersprüchen dieser Welt “wenn es so wahr ist, weiß ich wenigstens den Weg”.

Die Wissensfalle

Das wird immer mehr zum Problem. Denn wer sich an Wissen als Identitätsbringer festklammert, drückt anderes weg, kann sich nicht entwickeln und im Zwischenmenschlichen nicht wirksam sein. Er oder sie verneint wirkliche neue Erkenntnisse, denn diese erfordern ja eine Aktualisierung.

Einige dieser Entwicklungsverneiner fallen dadurch auf, dass sie in allem das Neue suchen. Sie können keine Verbindungen herstellen, wie es die Komplexität erfordert. Sie können andere und neue Erkenntnisse zwar bewerten in Richtig-Falsch/Alt-Neu/Schwarz-Weiß, aber keine eigenen Ableitungen treffen. Dummerweise entzieht sich ihnen diese Einsicht. Man kann nur sehen, was man fühlen kann bzw. zu fühlen zulässt.

Stellen Sie sich eine reife Person mit einem klar abgegrenzten inneren Kern vor. Dieser ermöglicht ihr, wahrzunehmen und eigenen Gefühlen auch Ausdruck zu geben. Deshalb führt jede Entwicklung über Reflexion und Emotionsarbeit. Nicht nur die Resilienzforschung zeigt diesen Zusammenhang eindeutig, auch Führungswirksamkeit ist an die emotionale Reife einer Person gekoppelt.

Neue Erkenntnisse werden gern bekämpft

Was wir bisher über Emotionen wussten, stellt sich inzwischen als lückenhaft und sogar falsch heraus. Vor etwa anderthalb Jahren habe ich das Buch „How emotions are made“ von Lisa Feldtman Barett entdeckt, das es leider nicht auf Deutsch gibt (überhaupt frage ich mich, warum wir so viele gute amerikanische Bücher verkennen).

Ich war fasziniert von der Klarheit und Nachvollziehbarkeit ihrer Ausführungen. Dann wurde ich vor 14 Tagen wieder an dieses Buch erinnert. In einem Seminar erzählte eine Teilnehmerin, dass sich in Deutschland Kliniken weigerten, die Erkenntnisse der amerikanischen Forscherin anzuerkennen. Dabei stürben zahlreiche Menschen an falschen Diagnosen, auch weil die körperlichen Signale einseitig interpretiert werden, etwa die Symptome des Herzinfarkts bei Frauen.

Da erst wurde mir die Tragweite dieses Buches und der dahinterstehenden Erkenntnisse bewusst, die mir als Praktikerin logisch schienen. Emotionsforschung ist also nicht nur wichtig für Coaching und Therapie, sondern auch die Medizin.

Ich begreife Forschung als die Herausforderung, bisherige Kenntnisse zu widerlegen und nicht etwa, diese zu bestätigen. Aber mir ist sehr wohl bewusst, dass jede bahnbrechend neue Erkenntnis   bekämpft wird. Daran erkennt man ihre Wichtigkeit. Irrelevantes bekämpft keiner.

Emotionen sind überall

Ich hatte die Idee der sieben Grundgefühlen nach Paul Ekmann als hilfreich, aber auch einschränkend gefunden.  Hilfreich aufgrund ihrer Einfachheit, reduzierend aufgrund ihres Wahrheitsanspruchs. Es gibt im Internet zum Beispiel Übungen, bei denen man Emotionen in Gesichtern deuten soll. Nach der Theorie von Ekman sind die sieben Grundgefühle eindeutig und in allen Kulturen gleich. Diese Systeme basieren auf dem das Facial Action Coding System (FACS), das Paul Ekman gemeinsam mit seinem Kollegen W. V. Friesen entwickelt hat. Damit sollen sich die “Big-Seven” Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung eindeutig identifizieren lassen.

Für mich zeigten viele Gesichter mehrere Ausdrucksmöglichkeiten. Ich schloss diese Tests nur mittel ab. Mir war Ergebnis ein bisschen peinlich, arbeite ich doch so viel mit Menschen… und da sollte ich doch überdurchschnittlich sein (ja, ein „Mindfix“ und kein „Mindshift“). Lisa Feldtman-Barett hat mich ein bisschen rehabilitiert, denn genau diese Herangehensweise widerlegt sie und zeigt, dass man die gezeigten Gesichter eben nicht so eindeutig den Ekman-Emotionen zuordnen kann.

Auch die Komplexität der Gefühlswelt nimmt zu

In fast allen Bereichen erleben wir derzeit, wie die Forschung Komplexität anerkennt und alte „einfache“ Modelle in Frage stellt. Lisa Feldtman-Baretts Erkenntnisse reihen sich also in einen übergreifenden Trend. Deren Ergebnis für Praktiker ist eine stärkere Differenzierung und Individualisierung. Das aber erfordert die Fähigkeit, dies annehmen zu können.  Wir nehmen „bewiesene“ Grundannahmen gern als Bestätigung für unsere Interpretationen und unsere Handlungen. Stellen sie sich als falsch heraus, fordert das Umdenken, was vielen schwerfällt. Ganz besonders den oben genannten Menschen, die nach dem Neuen suchen, dass das Alter ersetzt und somit universell einsetzbar ist.

Das Loslassen und Selbstaktualisieren macht typischerweise jenen erhebliche Probleme, die ihre Identität auf diesem Wissen aufgebaut haben. Differenzierung und Komplexität bereiten diesen Menschen Probleme – nicht kognitiv-intellektueller, sondern emotionaler Art. Das erklärt warum, neue Erkenntnisse wie die von Feldtmann-Barett bekämpft werden, obwohl sie doch weiterhelfen könnten.

Lisa Feldtman-Baretts Foschungen zeigen beispielsweise, dass Emotionen sich überall im Körper zeigen können und sich unterschiedlich niederschlagen. Sie offenbaren sich auch nicht immer auf die gleiche Weise: Ich kann eine Faust ballen und damit Freude zeigen, aber auch Wut. Ich kann vor Freude weinen und aus Trauer; der Unterschied ist nicht direkt sichtbar, sondern wird nur vom Kontext erklärt. Und dann haben Emotionen eine riesige Spannbreite, sie sind nicht nur auf die sieben Grundemotionen reduzierbar, wie Ekmann glaubte, der sich auf Darwin berief.

Das Narrativ macht die Emotion bunt

Feldtman-Barett belegt auch, wie unglaublich wichtig das Narrativ ist, das wir zu einem Gefühl entwickeln. Sprache verbindet sich mit Emotionen und formt auf diese Weise sichtbare soziokulturelle und individuelle Unterschiede. Wir lernen Emotionen also mit unserem Spracherwerb, sie sind nicht einfach evolutionär vorhanden.

Mit der Differenzierung von Sprache lernen wir sie zu verfeinern und aufzufächern, aber zugleich auch zu vereinfachen und zu reduzieren. So bleibt ein großer praktischer Wert im reduzierenden Ansatz von Ekmann: Man kann damit Begriffswolken bilden und vereinfachen. Das ist manchmal sinnvoll, vor alle bei der Arbeit mit Gruppen, die dadurch einer Emotion bei aller Individualität eine gemeinsame Farbe geben können.

Emotion braucht Differenzierung und Reduktion

How emotions are madeVerschiedene Emotionen wir Zuversicht, Hoffnung, Interesse und Neugier sind mit einem freudigen Erleben verknüpft. Verschiedene Emotionen wie Frust, Wut, Enttäuschung mit Ärger. In Farben ausgedrückt sind das vielleicht grüne und rote Gefühle. So haben wir es in unser Teamworks-Emotiogramm übersetzt. Ich sage immer dazu „es ist kein wissenschaftliches Modell, es dient nur dazu ,die richtigen Worte zu finden“.

Sprache gibt dem, was wir fühlen, einen Ausdruck. Sprache formt Realität. Und sie verändert Realität. Durch neue Bilder kann aus einem Gefühl ein anderes werden. Ich bin bekannt (und bisweilen auch gefürchtet) für meinen Humor. Gerne entschärfe ich Situationen, indem ich etwas Lustiges mache. Dann wird aus dem Ärger meines Gegenübers ein Lachen. Lachen drückt Freude aus. Und ja, man sieht es im Gesicht. Und ja, ich kann erkennen, wenn ich zu weit gehe, dann gewinnt der ärgerliche Gesichtsausdruck. Aber ich kann das nur deshalb so sicher interpretieren, weil es vertraute Personen sind. Das sagt Lisa Feldtman-Barett eben auch. Emotionen sind gelernt. Und wir lernen, sie immer wieder neu zu interpretieren, bei uns und anderen.

Beitragsfoto: Prostock-studio – Shutterstock.com

 

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

One Comment

  1. Barbara Mussil 24. Mai 2019 at 14:13 - Antworten

    Danke Frau Hofert für diesen informativen und treffenden Artikel!
    Ihr Blog ist immer eine gute Anregungsquelle. Schönen Tag noch & herzliche Grüße.

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