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Auf Biegen, Brechen und Verbinden: Die drittwichtigste Zukunftskompetenz und wie Sie diese bei sich und anderen fördern

Veröffentlicht: 13. Januar 2019Kategorien: Mindset und Entwicklung, Psychologie

Sind Sie kreativ? Wenn Sie ja antworten, frage ich Sie, woran sich das zeigt. Und wenn Sie nein sagen, interessiert mich, wie Sie darauf kommen. In beiden Fällen, sollten Sie Ihr Konzept von Kreativität vielleicht einmal überdenken, nachdem Sie meinen Artikel gelesen haben. Kreativität ist oft nicht das, was wir dafür halten. 2025 wird Kreativität die drittwichtigste Kompetenz sein – so der Future of Jobs Report des Word Oeconomic Forum.

Wir erkennen unsere eigene Kreativität nicht, denn unser Bildungssystem und die Sozialisierung in Unternehmen hat uns das natürlich Kreativ-Sein ausgetrieben. Wie aber sollen wir die Herausforderungen einer künftigen Arbeitswelt bewältigen, wenn wir dafür nicht gewappnet sind? Wir müssen uns verloren gegangene Kreativität zurückerobern!

Was ist kreativ – und was zu komplex?

Nur noch 4% der Erwachsenen erzielen im Torrence-Test für Kreativität die Werte, die Kinder erreichen. Der Torrence-Test ist ein visueller Test. Sie starten mit einer Form, die es zu vervollständigen gilt. Aus einem Kreis wird somit etwas Anderes. Ein Gesicht etwa, oder eine Mickey Maus, vielleicht auch eine Kette. Sie sehen ein Beispiel: Was ist kreativer, wenn Sie den Screenshot betrachten? Möglicherweise sind wir uns mit den Auswertern einig: Die Mickey Maus.

Torrence Test

Sie ist origineller, als die Kette, zeigt Fantasie und divergierendes, also verzweigtes Denken. Kreative Menschen sind fantasievoll und denken um viele Ecken. Es sind aber auch nicht so viele Ecken, dass wir erschlagen sind. Die Psychologin Gerda Smets führte 1973 Experimente mit dem EEG durch, um die Wahrnehmung verschiedener Muster zu messen. Dabei stellte sie fest, dass das Gehirn am intensivsten auf Muster mit einer Komplexität von 24 Prozent reagiert. Das sind die „satisfying degrees of complexity“.

Wäre die Micky Maus eine komplexere Zeichnung, sagen wir ein aus vielen Kreisen bestehender Ablaufplan, könnte uns das überfordern. Und so geht es uns auch, wenn wir mit Ideen konfrontiert sind, deren Verständnis uns anstrengt – so gut diese auch sein mögen. Kein Wunder also, dass das Framework Design Thinking so beliebt ist. Es reduziert Komplexes und schafft einen Rahmen für kreative Prozesse. Weiterhin nutzt es die so wichtige soziale Seite des Schaffensprozesses. Denn Kreativität ist kein einsamer Vorgang.

Wir verlernen implizites Wissen

Kinder können auf viel Fantasie zurückgreifen, aber noch auf wenig explizites Wissen. Expliziztes Wissen ist versprachlichtes Wissen. Implizites Wissen ist etwas, was man einfach weiß, weil man es weiß, Gabe der Gene und der Vorfahren – Intuition, aber auch Empathie. Kinder besitzen das oft viel mehr als Erwachsene, die das implizite Wissen verlernen. Ja, das explizite Wissen verdrängt das Implizite. Je mehr Worte wir haben, desto schwieriger wird es. Und lässt sich am Ende nicht alles wieder auf das Einfache zurückführen? Die Reduktion fällt Menschen wesentlich leichter, die viele Verbindungen im Kopf haben, weil sie eben nicht einseitig explizites Wissen aufgeladen, sondern für Vernetzungen gesorgt haben. Albert Einstein war auch deshalb ein so produktiver Mensch, weil er sich nicht nur mit der Wissenschaft, sondern auch den Künsten, vor allem der Musik beschäftigt hatte.

Mindset für Kreativität und flexible Verbindung

Es ist nicht das Spezial- und Expertenwissen, das Menschen kreativ macht. Es ist die Fähigkeit, über Tellerränder hinauszublicken. Diese wiederum wird von unserer psychologischen Denkeinstellung, dem Mindset also, geprägt – wird es von Neugier getrieben? Haben wir Interesse für das, was jenseits des Tellerrands liegt? Trauen wir uns, da hinzuschauen und sogar zu hinzugehen?

Beim Kreativsein verbinden sich Empathie, Intuition, Erfahrungswissen und Fachkompetenz. In der Schule wird uns Kreativität durch Schwerpunktsetzungen abtrainiert. Fächer werden getrennt voneinander unterrichtet, Musik und Kunst sind unwichtiger als Mathe, Deutsch und Naturwissenschaften. Lehrer benoten etwas, was sie gar nicht bewerten können, weil es nicht bewertbar ist. Sie bewerten nach Schema F, Mustern oder entlang des eigenen Bewertungssystems, Gerne bestrafen sie die Abweichung, weil diese immer auch verstört. Die schwierigen, die Ungewöhnlichen sind selten beliebt, weil sie immer auch schwierig sind. Dabei muss Kreatives von der Norm abweichen und ist damit auch immer anstrengend.

Im Studium geht es weiter: Es werden nicht die Verbindungen trainiert, und damit die Flexibilisierung im Kopf, sondern einzelne Gehirnbereiche. Der Blick über das eigene Fachgebiet und die Verzahnung mit Kunst und Musik, ist nur spezifisch für einige wenige Disziplinen und besondere Hochschulen. Wir werden belohnt für das Richtige – und nicht das Neue. Wir bekommen Anerkennung für Anpassung – und nicht Verstörung und Regelbruch.

Gibt es eine kreative Persönlichkeit?

Als Galileo Galileo die geozentrische Sicht der Welt anzweifelte und seinen heliozentrischen Entwurf zeichnete, entstand ein Disput mit der Kirche. Kardinal Bellarmine war dabei nicht einfach gegen Galileos Hypothese, er verteidigte das Erkenntnisprinzip der Deduktion, das jeder Wissenschaftstheorie zugrunde lag: Wenn Gott die Erde erschaffen hat, muss die Sonne sich darum kreisen. Das Teleskop galt damals als neue und unsichere Technik. Für Bellarmine verletzte Galileo also Wissenschaftsprinzipien. Wer etwas so Grundlegendes wie die Grundannahme einer ganzen Disziplin und ihre Daseinsberechtigung in Frage stellt, darf sich immer auf einiges gefasst machen…

Immer beginnt das Neue mit einer Regel- oder Prinzipverletzung, manchmal in revolutionärer, bisweilen auch in kleinschnittiger Weise. Je größer der Bruch, je tiefer er in Grundannahmen – und damit Daseinsberechtigungen – wühlt, desto mehr Widerstand. Mit der Zeit legt er sich, denn die Zahl der Verbündeten für das Neue steigt. Dass sich Galileos Sicht schließlich durchsetzte ist kein Zufall, der Boden war bereitet. Auch das ist typisch. Bevor sich etwas als Allgemeingut in die gesellschaftlichen Grundannahmen schleicht, hat sich die Welt, die Gesellschaft und deren Sicht schon in eine bestimmte Richtung entwickelt.

Populäre Kreative sind Geburtshelfer

Meist sind Zweifel an den Regeln und der vermittelten Wahrheit schon vor dem großen Bruch, der immer an einer Person festgemacht wird nachweisbar. Jemand wie Galileo kommt nie aus dem Nichts. Es ist nur derjenige, der etwas zum richtigen Zeitpunkt aufgreift und damit zur Geburt verhilft. Eine Innovation, die aus kreativen Denkprozessen entsteht, ist niemals nur das Werk einer Person. Viele Menschen haben den Boden bereitet, das Bewusstsein versprengt, die Basis gelegt und für Verbreitung gesorgt. Einer aber bringt es zur Welt, einer wird mit einer Erfindung verbunden. Seine Helfer und Unterstützer sieht man nicht.

Die Idee des einsamen Genies ist eine romantische Idee von Menschen, die lieber einen Helden bewundern als einen gesellschaftlichen Prozess und Komplexes vereinfachen. Selbst der als einsames Genie gehandelte van Gogh befand sich in stetigem Austausch mit anderen Malern und Künstlern. Sein Werk versteht sich zu einem guten Teil aus dieser Interaktion. Kreative Prozesse sind nie einsam, sie sind immer sozial.

„Wir arbeiten pausenlos daran, einander zu beeindrucken“, schreibt der Hirnforscher David Eagleman, dessen wunderbares Buch Kreativität. Wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft“ mich zum zweiten Teil dieses Beitrags angeregt hat. Wir wollen anerkannt sein. Der Motor für Kreativität ist immer Anerkennung. Das erklärt, das bestimmte Branchen eher Kreativität fördern als andere. In der Verwaltung sind nicht lauter unkreative Menschen. Es ist vielmehr das System, das Anpassung belohnt und Abweichung sanktioniert. Anerkennung bekommt, wer sich an Regeln hält. Kreativität wird so unterdrückt. Sie ist dennoch vorhanden.

Indem wir unsere Bewertungen verändern und nicht mehr die Anpassung fördern, sondern die Abweichung, bereiten wir auch in Organisationen den Boden für kreative Prozesse. Dabei gilt: Wir müssen etwas wiedergewinnen, was da ist, aber schon sehr früh verschüttet würde…. Dabei helfen drei ganz einfache Herangehensweisen. Auf zur Praxis.

Drei Arten, kreativ zu sein und zu werden

Das Kreativitätsprinzip Brechen

Wer etwas bricht, zerlegt es in seine Teile und setzt diese neu zusammen oder in einen anderen Kontext. Pablo Picassos Guernica ist ein Beispiel für dieses Prinzip. Dichter verteilen Sätze auf verschiedene Zeilen oder setzen Worte neu zusammen. Wer eine Organisation in ihre Elemente zerlegt, kann sie anschließend anders wieder neu zusammensetzen. Dabei können wir auch etwas komprimieren und auf das wesentliche verkürzen. Man kann einen Teil der Struktur behalten und den Rest verwerfen. So entstanden leichtere Traktormotoren, aber auch der MP-3-Player. Organisationen können sich dieses Prinzip zunutze machen, indem sie ihre Meetings komprimieren, neu zusammenstellen und kürzen. Das Prinzip funktioniert im Großen wie im Kleinen, mit festem Material genauso wie mit Daten und Service. Indem sie die Einzelteile eines Raumes anders zusammenstellen brechen sie.

Ein Beispiel, was auf den ersten Blick nicht kreativ zu sein scheint, es auf den zweiten aber sehr wohl ist, ist das Open Space Agility Framework OSA von Daniel Mezick, das die Prinzipen der Open Space Agility bricht und neu Zusammengesetzt mit Agilität verbindet.  Auch der Ansatz von Gerhard Wohland, das Komplizierte vom Komplexen zu trennen und das eine als blau und das andere als rot zu bezeichnen, geht mit diesem Prinzip einher.

Wie Sie das Prinzip Brechen im Unternehmen nutzen:

  • Zerlegen Sie die Dinge in Ihre Elemente.
  • Verbinden Sie sie neu und kombinieren sie anders oder mit etwas anderem.
  • Lassen sie dabei etwas weg oder fügen Sie etwas hinzu.

Das Kreativitätsprinzip Biegen

Beim Biegen wird das Original oder das bestehende Vorbild verbogen und in eine neue Form gebracht. Beispielsweise biegen Architekten das Prinzip des geraden Hauses, wenn sie ein krummes bauen wie das Krzywy Domek im polnischen Zoppot. Beim Biegen nimmt man eine neue Perspektive zu etwas ein. Beispielsweise haben verschiedene Kulturen den menschlichen Körper immer wieder anders dargestellt. Biegen verändert ein vorheriges Original, es macht es größer oder kleiner oder setzt es in eine ungewöhnliche Form. Wenn Sie also etwas kreativ biegen wollen, dann versuchen Sie es in mit einer anderen Form, Farbe oder Größe. So gibt es schwammartige Roboter, die kriechen können wie Raupen. Otherlab hat einen Ameisenroboter entwickelt.Dem Prinzip des Biegens folgen auch Karrikaturisten, wenn sie zum Beispiel die Nase verlängern oder die Augen vergrößern.

Wäre ein rundes Smartphone denkbar? Wir bewegen wir uns mit unseren Ideen immer zwischen Altem und Bekannten und dem Neuen. Unsere Gehirne sind so gestrickt, dass sie etwas Vertrautes suchen, damit sie das Neue annehmen können. Deshalb haben es Revolutionen so schwer, wenn sie etwas völlig anderes bringen und das Neue wegfegen wollen. Und deshalb kann ein Kulturwandel hin zu mehr Kreativität auch nur gelingen, wenn das Alte mitkommen darf und für Vertrautheit sorgt.

Die “Rebels at work” Förster und Kreuz liefern in ihrem Blog gerade ein gutes Beispiel für dieses Prinzip. Sie erzählen vom Kanarienvogelprinzip, das Google eingeführt haben soll. Es orientierte sich dabei an einer Idee aus dem Bergbau, bei der die Arbeiten einen Kanarienvogel mitnahmen. Wenn dieser aufhörte zu zwitschern, war das ein Warnsignal. Die Kanarienvögel bei Google seien Menschen, die den Ruf haben, klar zu denken und mit der Meinung nicht hinterm Berg zu halten. Eine Idee wurde also aus einem Zusammenhang herausgenommen und in einen anderen gestellt, wobei mit einer Metapher gespielt wurde – der das Überlebens.

Wie Sie das Prinzip Biegen im Unternehmen nutzen:

  • Stellen Sie etwas in ein ganz anderes Licht.
  • Ändern Sie Formen, Farben und Hintergründe.
  • Nehmen Sie eine Grundidee und biegen Sie sie, indem Sie sie ein ein anderes Umfeld stellen.

Das Kreativitätsprinzip Verbinden

Beim Verbinden kombinieren wir zwei oder drei Dinge miteinander. Der Minotaurus verbindet Mensch und Stier, die Meerjungfrau vereint Frau und Fisch. Die Spinnenziege Freckles, ein Wunder der Gentechnik, sieht aus wie eine Ziege, aber in der Milch produziert sie Spinenseide. Es gibt Möbel aus Baumstämmen und Knochen. Es lässt sich auch Lebendes und Lebloses verbinden. Kein Computer der Welt kann Gesichter erkennen. Als jedoch der Informatiker Luis von Ahn auf die Idee kam, ein Foto mit Begriffen zu kombinieren, begann die Bilderkennung sich durchzusetzen, die wir an dem kleinen Fenster erkennen, das sich öffnet, wenn wir auf Bilder klicken. Wir erkennen uns oder einen anderen auf einem Foto und schreiben den Namen rein. Ein anderer bestätigt das irgendwann. So werden Gesichter in Fotos durch Verbinden erkennbar. Es ist nicht die Software, die erkennt, es ist ein Algorithmus, der abgleicht (verbindet). Auch zusammengesetzte Worte folgen diesem Prinzip, etwa der Seelenverwandte.

Wie Sie das Prinzip Verbinden nutzen:

  • Bringen Sie Dinge zusammen, die zunächst nichts miteinander zu tun haben
  • Kombinieren Sie verschiedene Kategorien, z.B. Kosmetik mit Technik
  • Denken Sie Dinge zusammen, die zunächst nicht zusammen gehören zu scheinen, z.B. Papier und Gras

Sie wollen kreativer werden? Die wichtigste Voraussetzung dafür ist Neugier. Wie Sie Ihre Kreativität aufladen erfahren Sie auch in meinem Buch “Mindshift”, das Sie jetzt z.B. hier vorbestellen können.

Beitragsbild: Sunnystudio@shutterstock.com

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Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

2 Kommentare

  1. Anders Rosenlund 7. März 2019 at 23:57 - Antworten

    Danke für einen spannenden Artikel 🙂

  2. Florian Sußner 23. April 2019 at 17:06 - Antworten

    Sehr spannender Artikel, vielen Dank dafür.

    Kreativität hat für mich immer auch mit einem möglichen Scheitern zu tun. Solange Scheitern und Fehler als Makel empfunden werden, wird es auch mit der Kreativität hapern, glaube ich.
    Ich nutze z.B. gerne die Methoden des Impro-Theaters für kreative Ansätze in anderen Bereichen, z.B. Business Communication. Das entspricht dann wohl dem dritten beschriebenen Prinzip (verbinden).

    Liebe Grüße
    Florian Sußner von Freelancer’s Tales

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