Kategorien

Was ist jetzt schlau? Adaptive Intelligenz in Zeiten des Wandels

Veröffentlicht: 24. Oktober 2022Kategorien: Führung & Organisation

Immer mehr Intelligenzbegriffe konkurrieren miteinander. Das zeigt, dass sich frühere Vorstellungen auflösen.

„Intelligenz ist die Fähigkeit, komplexe Ziele zu erreichen“, schreibt MIT-Professor Max Tegmark, der mit dem Buch „Leben 3.0. Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz“ einen Bestseller geschrieben hat. Er wischt damit bisherige Definitionen vom Tisch. Sein Konstrukt stellt das Adaptive in den Vordergrund, also die Fähigkeit, sich auch unter stark verändernden Bedingungen zu bewähren.

Psychologen behaupten immer noch, Intelligenz sei das, was ein Intelligenztest misst. Sie sagen, dass der „IQ“ Erfolg im Beruf vorhersage. Aber welchen Erfolg meinen sie?

Ist nicht Erfolg in stabilen Zeiten ein anderer als in der Krise?

Intelligenz ist die Fähigkeit, komplexe Ziele zu erreichen.
Max Tegmark, Autor des Buches „Leben 3.0“

So kann man stets nur die Vergangenheit statistisch vermessen, aber nicht die Zukunft.

Die Vergangenheit zeigt bis in die jüngere Zeit Folgendes: Im Persönlichkeitstest „Big Five“ schneiden Führungskräfte mit durchschnittlicher Offenheit für neue Erfahrungen in einem Merkmal schlecht ab, das stark mit Veränderungsbereitschaft korreliert. Sie sind zudem überdurchschnittlich gewissenhaft, kontrollieren gern und sind (zu) genau. Dieses Merkmal wiederum steht dem freien und spielerischen Experimentieren oft konträr entgegen.

Man könnte sich also fragen: Helfen all diese durchschnittlich offenen und überdurchschnittlich gewissenhaften Führungskräfte mit ihren am oberen Ende des Durchschnitts gelegenen IQs gerade beim Lösen unserer multiplen Krisen?

Wenn der Intelligenzforscher James Robert Flynn der Weltbevölkerung seit mehr als 20 Jahren nachlassende Intelligenz attestiert, bezieht er das auf den statistischen IQ. Jenen, der einen G-Faktor kennt, also einen generellen Intelligenzfaktor. Also den IQ, den die Psychologen hochhalten.

Intelligenz sieht man nur rückblickend

Die Intelligenz von Max Tegmark ist ganz anders geartet. Sie teilt nicht in bestimmte Kategorien, sondern geht vom komplexen Ziel aus. Demnach kann man intelligentes Verhalten auch nur rückblickend beurteilen. Ob sich also die Gaspreisbremse als schlau herausstellen wird, wissen wir erst, wenn sie Geschichte ist. Dass das wilde Einkaufen im Sommer die Preise unverhältnismäßig hochgetrieben hat, wissen wir schon jetzt. Das war also nicht (so) schlau.

Gleichzeitig ist es unmöglich, mit Tegmarks Formel Intelligenz absolut festzustellen. Wir müssen uns immer wieder Fragen stellen:

  • Ist das jetzt ein komplexes Ziel?
  • Was ist das zugrundeliegende Problem?
  • Gibt es gar eine Problemhierarchie?
  • Lässt sich daraus eine Zielhierarchie ableiten?
  • Wie erkenne ich, dass ein komplexes Ziel erreicht worden ist?
  • Und wann ist dafür der richtige Zeitpunkt?

Das könnte zu der Erkenntnis führen, dass sich viele Dinge gar nicht mehr einschätzen lassen. Und zu der Schlussfolgerung, dass wir deshalb lieber gleich von absoluten Lösungen Abstand nehmen.

Einmal schlau, immer schlau? Vorbei.

Unweigerlich erkennen wir außerdem: Intelligenz ist nicht mehr nur an die eine Person gebunden. Und deswegen ist Tegmarks Sichtweise zeitgemäß.

Es entkoppelt auch vom Gedanken „einmal schlau, immer schlau“. Elon Musk gilt als wahnsinnig intelligent. Aber ist er auch noch intelligent, wenn er Twitter kauft? Kann er damit (s)ein komplexes Ziel erreichen? Ich mag den Gedanken, dass Schlauheit nicht von vorneherein feststeht. Da kann man dann auch keine Vorschusslorbeeren verteilen.

Unsere politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lösungen sind auch deshalb so anfällig, weil sie oft mehr auf Glaubensbekenntnissen denn auf Fakten basieren.

Wir kommen zu Lösungen aufgrund bestimmter, regelmäßig verkürzter und ziemlich oft ideologischer Annahmen. Das heißt, es geht nicht um Fakten – die interessieren viele auch nicht –, sondern um Moral. Das ist nicht besonders schlau, denn damit erreichen wir eben keine komplexen Ziele. Wahlen gewinnen ist eben kein komplexes Ziel.

Um mehr Schlauheit zu ermöglichen, braucht es aus meiner Sicht Folgendes:

  • Wir müssen Komplexität als Komplexität anerkennen. Das bedeutet, gar nicht erst nach linearen Lösungen zu suchen.
  • Wir müssen akzeptieren, dass jede Problemlösung neue Probleme bringt.
  • Wir sollten die Lösungskompetenz nicht in einer Person zu suchen. Das bedeutet, Entscheidungsstrukturen grundlegend zu ändern.
  • Wir sollten nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen – und damit auch die Grenzen der Statistik sehen.
  • Wir sollten in vielen Feldern Greenfield- statt Brownfield-Lösungen suchen. Das heißt, das Bisherige öfter ganz neu denken statt der ganzen Flickschusterei.

_________________

Abonnieren Sie meinen Weiterdenken-Newsletter. Jeden Sonntag greife ich aktuelle Businessthemen auf. Und folgen Sie mir gern auch bei Instagram und Youtube.

Beitrag teilen:

Über Svenja Hofert

Svenja Hofert ist vielfache Bestsellerautorin, die sich im deutschsprachigen Raum über mehr als ein Vierteljahrhundert ein hohes Renommee als Vordenkerin für das Thema Zukunft von Arbeit und Führung erworben hat. Ihr Motto "Zukunft der Arbeit mit Sinn und Verstand". Dieses Blog besteht seit 2006 und wird nur noch gelegentlich gepflegt. Folgen Sie der Autorin, indem Sie Ihren kostenlosen Newsletter Weiterdenken  abonnieren. Auf  Linkedin können Sie der Autorin ebenso folgen und erhalten 14tätig die Weiterdenken Essentials.

4 Kommentare

  1. Ulli Pesch 23. Januar 2023 at 11:16 - Antworten

    In diesem Kontext empfehle ich “Emotional Intelligence” (nein, nicht von Dan Goleman) von Seymour Epstein. Dann wird die Diskussion darum “etwas” differenzierter.
    Ebenso halte ich es da mit der Aussage des leider viel zu früh verstorbenen “Professor Silberbart”, Peter Kruse, der meinte, es sei nur noch möglich, Muster/Strukturen zu erkennen. Da zählt nicht mehr das “Einzelwissen” oder ein Konvolut dessen.
    Ob das mit Intelligenz, Schläue oder sowas zu tun hat? Das weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass wohl Erfahrung eine Menge damit zu tun hat, bestimmte “Strukturen” zu erkennen. Sie besser miteinander in Verbindung zu bringen. Mit Intelligenz oder Schläue hat das dann, so meine ich, weniger zu tun. Und ist doch oft sehr hilfreich. Vor allem, wenn es darum geht, alte Fehler nicht nochmals zu machen.

    • Svenja Hofert 23. Januar 2023 at 21:00 - Antworten

      Hallo Ulli, danke dir für die Tipps. Seymour kannte ich noch nicht. Schau ich mir an. LG Svenja

      • Ulli Pesch 24. Januar 2023 at 11:51 - Antworten

        …aussergewöhnliche Analyse, die auf Jahrzehnten eigener Forschungen Epsteins basiert. Das Buch gibt´s zwar nur in Englisch (sehr schade eigentlich – wollte es mal für ihn übersetzen), aber das dürfte ja kein Problem sein… 😉

      • Ulli Pesch 26. Januar 2023 at 10:39 - Antworten

        …kleine “Korrektur/Ergänzung” zum Titel des Buches. Genau genommen heißt der Titel “Constructive Thinking – The Key to Emotional Intelligence”…

Einen Kommentar verfassen